Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Macht der Ehrlichen: Eine Provokation (German Edition)

Die Macht der Ehrlichen: Eine Provokation (German Edition)

Titel: Die Macht der Ehrlichen: Eine Provokation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Bueb
Vom Netzwerk:
sprach Jürgen Habermas auf einer Tagung der Siemens-Stiftung davon, dass es in unserer Welt vielleicht der Religion bedürfe, um der »knappen Ressource Solidarität« wieder zu Ansehen zu verhelfen. Religion müsse in der Gesellschaft sichtbar werden und sich in der Sprache der säkularen Gesellschaft artikulieren.
    Wer wird das betreiben? Die Kirchen könnten diesen Auftrag übernehmen. Sie würden ihr langsames Sterben umwandeln in einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag. Sie müssten aufhören, an ihrem Machterhalt zu arbeiten, und wieder von den Worten und Taten Jesu Christi erzählen. Das gilt vor allem für die katholische Kirche.
    Wenn Kinder und Jugendliche mit den Erzählungen des barmherzigen Samariters, des verlorenen Sohnes oder der Ehebrecherin aufwachsen, kann das ihre moralische Haltung stärken. Diese Geschichten müssten allen Kindern als Beispiele eines guten Lebens immer wieder erzählt werden.
    Die Juden leben besonders geschichtsbewusst. Das hat ihnen immer wieder die Kraft gegeben, trotz wiederholter Pogrome ihren Glauben an die Zukunft zu bewahren. Haltet die Gebräuche, heißt es bei den Juden, ob ihr gläubig oder Atheisten seid. Sie erzählen allwöchentlich und an ihren großen Festen die Geschichte ihres Volkes. Das gibt ihnen Kraft.

»Ein ehrlicher Mensch ist auch
dann ehrlich, wenn er lügt.
Er lügt ehrlich.«
    Imre Kertész
    Zu viele Politiker und Wirtschaftsführer lügen unbekümmert, wenn es ihnen nützt. Wenn dann irgendwann ihre Lügen desaströse Folgen zeigen, übernehmen sie keine Verantwortung. Sie müssen es auch nicht, denn meist sind sie zu diesem Zeitpunkt schon wieder abgewählt. Das gilt für Politiker, aber auch für Vorstände großer Aktiengesellschaften. Familienunternehmer hingegen bleiben meist lebenslang verantwortlich, sie müssen die Folgen ihres Handelns tragen.
    In der bereits von mir erwähnten Rede »Politik als Beruf« (Januar 1919) von Max Weber unterscheidet der Soziologe zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Wer ein ethisches Gebot nur befolgt, um die Reinheit seiner Gesinnung zu erhalten, zum Beispiel das Gebot, den Frieden zu bewahren, läuft Gefahr, großes Unheil anzurichten. Pazifisten gelten als Gesinnungsethiker. Verantwortungsethiker hingegen bedenken die Folgen einer Entscheidung. Diese Abwägung kann sie dazu bewegen, Gewalt anzuwenden, um den Frieden zu erhalten. Das haben die Grünen unter Joschka Fischer getan, als sie sich für ein Eingreifen der NATO im Kosovo oder in Afghanistan entschieden. Sie haben sich damals einem Wandel unterzogen und von einer Glaubensbewegung zu einer politischen Partei entwickelt.
    Ehrliche Gesinnungsethiker werden zu keiner Lüge bereit sein, auch wenn sie damit der Humanität dienen könnten. Ehrliche Verantwortungsethiker hingegen werden lügen, wenn sie damit einem hohen menschlichen Wert dienen.
    Der französische Aufklärer Benjamin Constant vertritt in seiner Schrift Frankreich im Jahr 1797 die Auffassung, der sittliche Grundsatz, immer die Wahrheit zu sagen, mache ein Zusammenleben unmöglich. Er wendet sich gegen die Behauptung eines deutschen Philosophen, der die Meinung vertrete, »dass die Lüge gegen einen Mörder, der uns fragte, ob unser von ihm verfolgter Freund sich nicht in unser Haus geflüchtet, ein Verbrechen sein würde«.
    Kant fühlte sich angesprochen und antwortete in seinem Aufsatz »Über ein vermeintliches Recht aus Menschenliebe zu lügen«, Wahrhaftigkeit werde »schwankend und unnütz« gemacht, wenn man »auch nur die geringste Ausnahme einräumt«. Er folgert daraus: »Es ist also ein heiliges, unbedingt gebietendes, durch keine Konvenienzen einzuschränkendes Vernunftgebot, in allen Erklärungen wahrhaft zu sein.«
    Keine Gesellschaft darf irgendeine Art von Lüge rechtlich billigen, so verstehe ich Kant. Wer »aus Menschenliebe« lügt, muss wissen, dass er ein Gebot übertritt und dass er sich schuldig macht. Er kann solche Schuld auf sich nehmen. Er darf aber nicht versuchen, eine Lüge, sei sie auch noch so sehr im Interesse der Humanität geäußert, als rechtlich erlaubt zu interpretieren.
    Wie streng Gerichte in einem Rechtsstaat urteilen müssen, wenn es um prinzipielle Normen geht, konnten wir in jüngster Zeit an den Gerichtsentscheidungen im Mordfall Jakob von Metzler erfahren. Der mit den Ermittlungen beauftragte stellvertretende Polizeipräsident Daschner erwog, Folter anzuwenden, um den Aufenthaltsort des Jungen zu erfahren. Viele konnten Daschners

Weitere Kostenlose Bücher