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Die Macht der Ehrlichen: Eine Provokation (German Edition)

Die Macht der Ehrlichen: Eine Provokation (German Edition)

Titel: Die Macht der Ehrlichen: Eine Provokation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Bueb
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Entscheidung nachvollziehen, die Gerichte aber entschieden in allen Instanzen, dass Folter in keinem Fall gerechtfertigt sein darf. Daschner wurde schuldig gesprochen. Er beharrte trotzdem darauf, dass seine Entscheidung moralisch richtig gewesen sei. Er konnte seine Entscheidung aber nur als persönliche Schuld auf sich nehmen. Ähnlich verhält es sich mit der Lüge aus Menschenliebe.
    Kant argumentiert rechtsstaatlich. Eine einzige Ausnahme vom Gebot der Wahrhaftigkeit würde Tür und Tor öffnen, um Lügen aus Menschenliebe zu rechtfertigen. Ebenso würde eine einzige Ausnahme vom Folterverbot wie eine Verführung wirken, in zukünftigen Fällen Folter anzuwenden, wenn es um die Rettung von Leben oder einen vergleichbaren Wert geht. Den Rigorismus Kants können viele heute nicht mehr teilen. Er signalisiert aber, wie ernst es ihm mit der Wahrhaftigkeit war.
    Kann eine Lüge moralisch geboten sein, auch wenn sie sich juristisch nicht rechtfertigen lässt? Ich würde sagen: Es kommt darauf an, wie die Lüge begründet wird.
    Eine Lüge kann nur als legitime Notlüge gerechtfertigt werden, wenn sich derjenige, der sie ausspricht, in einem Konflikt zwischen dem Wert der Wahrhaftigkeit und einem ebenbürtigen Wert – im obengenannten Beispiel wäre dies die Rettung von Menschenleben – gegen die Wahrhaftigkeit entscheidet. Er lügt dann aus einem moralischen Grund. Ob der Wert »Rettung eines Menschenlebens« dem Wert der Wahrhaftigkeit ebenbürtig ist, bleibt dem subjektiven Urteil des Einzelnen vorbehalten.
    Im Januar 2013 kam das US-amerikanische Historiendrama »Lincoln« von Steven Spielberg in die deutschen Kinos. Dieser Film thematisiert, wie es dem 16. amerikanischen Präsidenten am Ende des amerikanischen Bürgerkriegs 1865 gelang, die Abschaffung der Sklaverei durchzusetzen: und zwar letztlich nur, indem er Kongressabgeordnete bestach und zur Lüge griff.
    Abraham Lincoln ist der Prototyp des ehrlichen Mannes, für seine Ehrlichkeit wurde er geachtet und verehrt – bis heute. Damals, kurz vor der Abstimmung im Kongress, beantragte ein Abgeordneter, der die Sklaverei befürwortete, die Verschiebung, weil er gehört hatte, dass der Präsident schon Friedensverhandlungen mit der Gegenseite führe. Es wurde ein Emissär zu Lincoln geschickt, der nachfragen sollte, ob das stimme. Lincoln ließ mitteilen, seiner Kenntnis nach gebe es keine Verhandlungen. Das stimmte nicht. Aber durch diese Aussage konnte die Verschiebung der Abstimmung verhindert werden. Denn wenn der Frieden vor der Abstimmung geschlossen worden wäre, dann wären die Abgeordneten der abtrünnigen Südstaaten wieder in den Kongress eingezogen. Es hätte in diesem Fall keine Chance mehr bestanden, das Gesetz gegen die Sklaverei zu verabschieden. Die Botschaft des Films lautet daher: Lincoln besaß den Mut und die Weisheit zu lügen, um das Gesetz durchzubringen. Er nahm dafür die Schuld auf sich, öffentlich zu lügen – ein klassischer Fall von Verantwortungsethik.
    Die Geschichte bietet zahllose weitere Beispiele, in denen Menschen in Extremsituationen aus moralischen Gründen gelogen haben. Häufig stammen sie aus Diktaturen. Widerstandskämpfer während der Zeit des Nationalsozialismus, Politiker in heiklen Missionen oder Fluchthelfer in der DDR fallen mir ein.
    Konrad Adenauer und Helmut Schmidt halte ich für ehrliche Menschen. Als Politiker haben sie mehrfach gelogen, weil sie sich in einem Wertekonflikt gegen den Wert der Ehrlichkeit und für den Schutz einer Maßnahme entschieden haben, die Menschenleben rettete oder Schaden von der Bundesrepublik abwendete. Als die Lufthansa-Maschine Landshut 1977 nach Mogadischu entführt wurde, zögerte Helmut Schmidt nicht, den Staatspräsidenten von Somalia Siad Barre über die Nationalität der Entführer zu täuschen und ihm bis dahin verweigerte Waffenlieferungen zuzusagen. Er tat dies nur, um die Befreiungsaktion durchführen zu können. Barre hätte nicht zugestimmt, wenn er gewusst hätte, dass die Entführer Palästinenser waren. Auch Waffen wurden anschließend nicht geliefert. Deutschland zahlte lediglich Entwicklungshilfe in Höhe von 100 Millionen DM.
    Auch ich habe einmal einen Mitarbeiter bewusst belogen. Ich wusste, dass ihm viel daran gelegen war zu erfahren, wie ein angesehener Wissenschaftler über ihn denkt. Dieser Wissenschaftler hatte ihn im Gespräch mit mir nicht einmal erwähnt. Ich behauptete aber, er habe sich anerkennend über ihn geäußert. Zu erfahren, dass er

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