Die Macht der ewigen Liebe
nach San Francisco gingen Stunden und Minuten ineinander über. Sofern er mir keine direkte Frage stellen musste, ignorierte Asher mich. Und ich ignorierte ihn, sofern ich ihm nicht antworten musste. Und Lucy ignorierte uns beide, nachdem ihre Versuche, uns zum Reden zu bringen, kläglich gescheitert waren.
Als wir den Stadtrand von San Francisco erreichten, glich das Fahrzeuginnere einer Leichenhalle, in der wir alle Wache über den Tod meiner Beziehung mit Asher hielten. Seine Anspannung hatte so zugenommen, dass er schließlich nurnoch grunzte, wenn Lucy ihm Anweisungen gab. Das lag wohl daran, dass er an den Ort zurückkehrte, an dem er von den Verbündeten meines Großvaters gekidnappt worden war. Wie würde er erst reagieren, wenn wir in Pacifica ankamen, wo er gefoltert worden war?
Lottie hatte für uns ein möbliertes Haus mit drei Zimmern ausfindig gemacht, das nicht weit entfernt von der San Francisco State University lag; den Hausschlüssel hatte sie unter einem Übertopf versteckt. Durch das Leben in der Nähe eines Colleges konnten wir uns unter die Studenten unseres Viertels mischen. Die Autogarage erstreckte sich über das gesamte Erdgeschoss, der Wohnbereich, dessen Fenster zur Straße hinausgingen, lag im ersten Stock. Die riesigen Erkerfenster boten einen atemberaubenden Blick auf den glitzernden Ozean und windgepeitschte Sandhügel. Der eine oder andere traute sich, einen Strandspaziergang zu machen und dem beißenden Wind zu trotzen. In Maine hatte mich solch ein Ausblick beruhigen können, hier in Kalifornien tat er nichts dergleichen.
Verlorener denn je wandte ich mich von den Fenstern ab.
»Möchtest du dich denn gar nicht umsehen?«, fragte Lucy.
Sie sah besorgt aus, aber dagegen war ich machtlos. Asher stand in der Tür zur Küche, beobachtete mich mit Augen, die um etwas baten. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was er von mir wollte, außerdem war ich völlig fertig. Ich hatte stundenlang neben ihm im Auto sitzen und mich zusammenreißen müssen …
Ich wich seinem Blick aus. »Ich bin müde. Umschauen tue ich mich später. Wann wollt ihr beide denn mit dem Auskundschaften anfangen?«
»Heute Nacht, nachdem alle sich ein bisschen ausruhen konnten«, sagte Asher. »Ich denke, du und Lucy solltet Alcaisnach Pacifica folgen, und ich schaue mal, was Franc in seinem Haus im Presidio so treibt.«
Er dachte wohl, ich würde protestieren, in seiner Stimme schwang Streitlust mit. Doch ich nickte nur.
»Gut.«
Dann drehte mich um und floh – gleich ins erste Schlafzimmer. Aufgewühlt schloss ich die Tür hinter mir. Ich ließ die Jalousien runter, um das Zimmer abzudunkeln, zog mich bis auf die Unterwäsche aus und legte mich ins Bett. Ich drückte mein Gesicht ins Kopfkissen, damit die anderen mich nicht hörten, und weinte mich in den Schlaf.
Irgendwann wachte ich in der fremden Umgebung auf. Mein Kopf fühlte sich an, als hätte ihn jemand mit Baumwolle ausgestopft – völlig wattig und nicht zu gebrauchen. Im Haus herrschte Stille, als würden Lucy und Asher auch schlafen, und ich fragte mich, wie spät es sein mochte. Ich zog mich an und wanderte in die Küche, wo ich gierig einen Apfel verschlang, um etwas in den Magen zu kriegen. Der Flur, der vom Wohnzimmer abging, führte wahrscheinlich zu den beiden anderen Schlafzimmern. Die Türen waren geschlossen, und ich beließ es dabei. Ich wollte niemanden wecken, solange ich für Gesellschaft noch nicht bereit war. Die Uhr am Mikrowellengerät zeigte kurz nach sechs an, demnach hatte ich fünf Stunden geschlafen.
Das Wasser im Badezimmer war heiß, und ich atmete dankbar den Dampf meiner ersten heißen Dusche seit Wochen ein. Nachdem ich mich gewaschen hatte, schlüpfte ich in eine dunkle Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Geräuschlos tappte ich mit bloßen Füßen in die Küche und trocknete mir unterdessen mit einem Handtuch das hüftlange Haar. In der Tür erstarrte ich, als ich Asher am Küchentisch sitzen sah, der ein Müsli aß. Am liebsten hätte ich kehrtgemacht und wärein mein Zimmer zurückgegangen, aber das war nicht möglich. Wir waren hergekommen, um meinen Vater zu finden, und Asher war mit von der Partie, egal, wie viel Kummer er mir bereitete.
Ich täuschte eine Ruhe vor, die ich nicht empfand, und ließ mich auf dem Stuhl nieder, der von ihm am weitesten entfernt war. Er musterte mich mit traurigen Augen, entdeckte meine geschwollenen, blutunterlaufenen Augen und die blassen Wangen und wusste, dass ich geweint
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