Die Macht der ewigen Liebe
Bruder hier!«
Bei seinen Worten bekam ich einen dicken Hals. »Das ist nicht wahr!«, antwortete ich steif.
»Du machst dir was aus Gabriel«, warf er mir vor. Sein Kiefer arbeitete.
Ich sah ihn finster an. »Ich habe dir ja gesagt, dass mir etwas an Gabriel liegt. Er ist mein Freund!«
Wieder lachte Asher, und der bittere Klang ging mir auf die Nerven. »Richtig. Ein Freund. Mehr empfindest du nicht für ihn. Belüge mich, Remy, aber belüge dich nicht selbst!«
Ich hatte es so satt, gegen diesen Vorwurf anzugehen. Ich hatte mich für Asher entschieden. Selbst Gabriel wusste das. Asher war es, der sich entfernte, nicht ich. »Glaubst du das wirklich?«, fragte ich voller Zorn.
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
Ich stapfte zu ihm, bis sich unsere Schuhspitzen beinahe berührten. »Dass du mich als Lügnerin bezeichnest, ist also okay, aber wie sieht es mit dir aus?«
Mir reichte es, immer alles schlucken zu müssen. So tun zu müssen, als sei es okay, wenn Asher vor meinen Berührungen zurückwich oder sich eine Ausrede ausdachte, um nicht mit mir allein sein zu müssen.
Mit mir war nicht alles okay, und die Sache mit ihm war nicht das Einzige, was mir zu schaffen machte. Mein Vater war entführt worden. Meine Stiefmutter lag im Koma. In einer unmöglichen Situation musste ich plötzlich für meine siebzehnjährige Schwester sorgen. Ich hatte alles verloren, und er behandelte mich wie eine Leprakranke.
»Was ist mit mir?«, fragte er. Zu spät schlich sich Vorsicht in seine Stimme.
Ich legte ihm eine Hand auf die Brust und schubste ihn. »Hier geht es nicht um Gabriel, und das weißt du auch. Den verwendest du doch nur als eine weitere Ausrede, um mich von dir wegzustoßen. So wie du das schon seit Wochen tust!«
»Das stimmt nicht.«
»Belüg mich, Asher, aber belüg dich nicht selbst!«, spottete ich. »Unsere Beziehung besteht nur noch aus einer Person. Ich gebe dir mal einen Tipp: Du bist es nicht.«
Asher spannte den Kiefer so an, wie er das immer tat, wenn er mit den Zähnen knirschte. Er wollte mich anbrüllen, mich angreifen.
Verletzt sah ich zu ihm hoch. »Gestern Abend hast du gesagt, wie schrecklich du es findest, dass du sterblich geworden bist, weil du mich nicht beschützen kannst.«
»Und du denkst, ich habe gelogen?«, fragte er empört.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Aber die ganze Wahrheitwar es nicht, glaube ich. Du willst es nicht zugeben, aber in Wirklichkeit bist du sauer auf mich. Stinksauer! Ich bin der Grund, wieso du gefangen genommen wurdest. Und ich bin der Grund, wieso du alles, was sie dir angetan haben, auch fühlen musstest.«
Ashers Augen weiteten sich angstvoll. Als die Männer meines Großvaters ihn folterten, war etwas in ihm zerbrochen. Das konnte er einfach nicht hinter sich lassen, und ich verstand das.
War ich nicht jahrelang von Dean misshandelt worden? Plagten mich deswegen nicht immer noch dieselben Albträume? Intuitiv streckte ich die Hand aus, um ihm Trost anzubieten, doch er machte einen Schritt zurück – und meine Hand hing in der Luft.
Wann lerne ich es endlich?
»Du kannst es leugnen, so viel du willst, aber dein Körper spricht die Wahrheit, wann immer ich dich berühren möchte«, quetschte ich mühsam hervor.
Eine Sekunde lang wurde Ashers Mund weich, als hätte ich ihn erreicht, doch dann erhellte eine neue Entschlossenheit seine Züge. »Es funktioniert nicht«, sagte er schroff. »Ich bleibe, bis wir deinen Vater gefunden haben, aber es ist aus. Das mit uns beiden ist aus.«
Das war es schon, seitdem er vorgeschlagen hatte, wir sollten eine Pause einlegen. Und vielleicht sogar schon davor. Endlich verstand ich, was Menschen meinten, wenn sie von einem gebrochenen Herzen sprachen, denn meines zersplitterte gerade in tausend winzige Teile.
Mit größter Mühe hielt ich mich auf den Beinen, während ich den quälenden Schmerz zu verkraften suchte, den seine Worte in mir ausgelöst hatten.
Ashers Handy klingelte, und er meldete sich, begierig darauf,unserer Unterhaltung zu entfliehen. Ich merkte, dass es Lottie war, und ich wandte mich ab. Plötzlich packte Asher mich am Arm, und seine besorgte Miene sprach Bände.
Der Zustand meiner Stiefmutter hatte sich verschlechtert.
In San Francisco war es zwar kalt gewesen, doch Chicago glich einer bitterkalten, eisigen Hölle. Alles war von Schnee bedeckt, und da, wo kein Schnee war, war Eis. Im Gegensatz dazu war es in der Empfangshalle des Chicago Memorial Hospital stickig.
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