Die Macht der ewigen Liebe
die Augen davor verschlossen.
»Du musst!«, beharrte sie.
Ihre Fingernägel gruben sich in meine Haut, aber ich riss mich nicht los. Die unvermeidliche Tür knallte zu, sperrte mich ein in ein Schicksal, das ich seit Lotties Anruf auf mich hatte zukommen sehen.
»Ich habe schon einmal versucht, eine solche Wunde zu heilen«, sagte ich. »Es ist nicht möglich.«
»Du sprichst von deiner Mom, stimmt’s? Diese Frau war eine Scheißmutter, aber du hast versucht, sie zu retten. Meine Mutter war ausschließlich gut zu dir, während du sie angelogen und hintergangen hast. Wie kannst du dich da weigern, ihr zu helfen?«
Ihre Worte machten es schwer, mich zu beherrschen. »Das ist nicht fair«, flüsterte ich. »Ich liebe Laura. Ich würde alles für sie tun. Aber selbst, wenn ich die Gefahren außen vor ließe und es probieren würde, es würde wahrscheinlich nichts bringen. Bei Verletzungen wie ihren gibt es keine Garantie.«
»Du musst es versuchen. Bitte!«
Ich zögerte, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch,auf ihre Bitte einzugehen, und der Realität. Lottie hatte mich schließlich nicht grundlos davon abgehalten, meine Stiefmutter zu berühren. Ich würde Lauras Verletzungen absorbieren. Ihr versagendes Herz. Ihre Kopfwunde. Ich könnte sterben, und selbst dann rettete ich Laura vielleicht nicht. Und das alles setzte voraus, dass meine Versuche, sie zu heilen, funktionierten, obwohl ich bei meiner eigenen Mutter dazu nicht imstande gewesen war.
»Lucy …«, bettelte ich und streckte eine Hand nach ihr aus.
Bitte mich nicht darum.
Angewidert stieß sie mich von sich weg, und mein Herz zog sich angesichts des Hasses in ihren Augen schmerzvoll zusammen. »Du bist daran schuld«, klagte sie. »Sie haben Laura deinetwegen verletzt, und nun lässt du sie einfach sterben.«
»Jetzt reicht’s, Lucy!«
Beim Klang von Ashers barscher Stimme fuhren wir beide zusammen. Er starrte meine Schwester an und zitterte vor Wut. »Es ist nicht Remys Schuld, dass diese Männer deine Mutter angefahren haben. Ehe euch etwas passiert, würde sie lieber sterben.«
»Ich bin mir sicher, ich würde dir glauben, wenn mein Vater wegen der Leute, die hinter ihr her sind, nicht entführt worden wäre, und wenn meine Mutter hier nicht im Sterben läge. Lustig, allen stößt etwas zu, nur sie geht aus allem unbeschadet hervor. Das solltest du doch eigentlich am besten wissen!«
Lucy schob sich an Asher vorbei und verschwand, trotzdem hörten wir ihre verzweifelten Schluchzer. Asher wusste nicht, ob er ihr folgen oder bei mir bleiben sollte. Ich half ihm bei der Entscheidung, indem ich meine Schultern straffte und eine ausdruckslose Miene aufsetzte.
»Geh ihr nach. Sie sollte jetzt nicht allein sein, und mich will sie ja nun weiß Gott nicht bei sich haben.«
Er zögerte eine Sekunde, dann nickte er. Ich beobachtete, wie er sich entfernte, und kämpfte gegen meine Verzweiflung an. Lucy hatte in allem recht. Ich stellte mir vor, was mein Vater sagen würde, wenn er hier wäre. Irgendwie kam ich jedoch nicht weiter als bis zu dem Kummer und dem Vorwurf, die sich in seiner Miene widerspiegeln würden. Ich hatte Laura nicht verletzt, aber durch meine Entscheidungen war all das über uns hereingebrochen. Niemand hatte mich gezwungen, zu Franc zu reisen. Nein, das war ganz allein mein Entschluss gewesen. Hätte ich mich von ihm ferngehalten, hätte mein Großvater nie etwas Genaueres über meine Eltern erfahren. Asher hatte mich gewarnt, aber ich hatte mich nur so hineingestürzt, so sicher, alles im Griff zu haben.
Meine Schuld. Meine Schuld. Meine Schuld.
Meine Füße bewegten sich automatisch bis zu Lauras Zimmer. Es war einfach schon immer mein Schicksal gewesen. Die schwersten Entscheidungen liefen manchmal auf die grundlegendsten Wahrheiten hinaus. Mein Wunsch, dass Laura lebte, war größer als meine Angst vor Schmerzen und Tod. Mit Freuden würde ich die Schmerzen von ihr übernehmen. Mit bebender Hand drehte ich den Türknauf.
Außer meiner Stiefmutter, die viel zu ruhig dalag, befand sich niemand im Raum. Ich musste mich beeilen, bevor die anderen zurückkehrten – oder bevor mich die Angst übermannte. Ich berührte die Hand meiner Stiefmutter und scannte ihren Körper. Lauras Herz war in einem äußerst bedenklichen Zustand. Schlimmer noch, ihr Kopf erwies sich als uneinnehmbare schwarze Festung, und mein Hirn wehrte sich dagegen, in sie einzudringen. Vielleicht war es auch ein Schutzmechanismus meines Körpers:
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