Die Macht der ewigen Liebe
ganz aussetzen wollen. Beinahe hätten meine Beine unter mir nachgegeben, und ich nutzte erneut die Wand, um aufrecht stehen zu bleiben. Jeder Atemzug schmerzte, und mein Herz pochte mit einem derart intensiven Schmerz, dass ich mit den Zähnen knirschte. Selbst das Licht tat weh, die fluoreszierenden Strahlen verbrannten die Rückseite meines Schädels.
Meine Bewegungen lenkten Lucys Blick auf mich. Sie wirbelte herum und deutete wie ein Racheengel mit dem Finger auf mich. »Das ist deine Schuld!«, schrie sie.
In diesem Augenblick wusste ich, dass es nichts brachte, ihr zu sagen, dass ich mein Bestes versucht hatte, um unsere Mom zu retten.
Sie schubste mich, und ich knallte an die Wand, wäre beinahe gestürzt. »Du hast das alles über uns gebracht. Ich hasse dich. Hörst du? Ich hasse dich!«
Ihr Geschrei erregte Aufmerksamkeit, die wir nicht gebrauchen konnten, und Asher versuchte, sie zu beruhigen. Nicht mal ansehen konnte er mich. Auch Lottie trat zu Lucy, und ich nutzte die Ablenkung, um von ihnen wegzuwanken. Meine zittrigen Glieder drohten nachzugeben, meine schiereWillenskraft ließ mich weitergehen, selbst dann noch, als ich mit den Zähnen zu klappern begann und Schüttelfrost bekam. Ich bewegte mich immer weiter, bis ich das Hinweisschild zur Krankenhauskapelle entdeckte. Ich drückte leicht gegen die Holztür, und sie sprang auf. Ich betrat den halbdunklen Raum und war dankbar, dass er leer war. Meine Kräfte waren aufgebraucht. Ich ließ mich auf eine Kirchenbank in der dunkelsten hinteren Ecke fallen und krümmte mich zusammen, als mir der kalte Schweiß ausbrach. Ich kämpfte gegen eine Welle der Übelkeit an.
Ich hätte weinen sollen. Ich wollte weinen, aber ich konnte nicht. Dafür tat alles viel zu weh.
Allerdings hatte mich der Umstand, dass ich mit Dean und meiner Mutter aufgewachsen war, einiges über Schmerzen gelehrt. Als ich damals kapierte, wie sehr meine Angst Dean erregte, hatte ich Methoden entwickelt, damit umzugehen. Mein Stiefvater hatte meine Gefühle wie Waffen gegen mich eingesetzt, also hatte ich meine Emotionen begraben. Und daran machte ich mich auch jetzt. Als die letzten Schauder verklungen waren, hatte ich ein so tiefes Loch gegraben, dass ich fast vorgeben konnte, nichts zu empfinden.
Fast.
Bei der Beerdigung versteckte ich mich hinter einer übergroßen Sonnenbrille und beobachtete, wie meine Stiefmutter fern ihrer Heimat bestattet wurde. Nur die Blackwells, meine Schwester und ich waren anwesend. So hätte das nicht sein sollen. So viele Menschen hatten meine Stiefmutter gern, und sie hätte es verdient, dass all diese Leute in diesem Moment da gewesen wären, um ihr Leben zu feiern und ihren Tod zubetrauern. Mein Vater hätte da sein müssen, um seine Frau zu beweinen. Doch er wusste nicht einmal, dass sie tot war.
Meine Schuld. Meine Schuld. Meine Schuld .
Inzwischen schien mein Herz fast im Takt dieser Wörter zu schlagen.
Nach dem Gottesdienst fuhren wir zu Lotties Wohnung zurück. Sie hatte eine kleine Zweizimmerwohnung gemietet, in der sie lebte, während sie sich um Laura gekümmert hatte. Nun, da sich vier Personen in einem Raum aufhielten, der für eine Person gedacht war, wirkte die Wohnung brechend voll. Traurigkeit ließ die Luft stickig werden. Jeder Atemzug glich einem Konditionstraining. Trotz der Kälte draußen schlüpfte ich durch die Schiebetür des Wohnzimmers auf den kleinen Balkon. Ich kringelte mich auf einer Sonnenliege zusammen und steckte die Beine unter den Rock meines schwarzen Kleides. Selbst der graue Himmel schien meine Stiefmutter zu betrauern; er vergoss die Tränen, die ich nicht vergießen konnte. Der Regen strömte in geringem Abstand von mir herunter, schuf eine unsichtbare Mauer und verwandelte den Schnee in Matsch. Niemand konnte mich sehen, und für eine Minute ließ ich meine Schutzmauer herunter.
Sobald ich aufhörte zu versuchen, meinen Schmerz zu verstecken, überflutete er mich. Ein scharfer, beständiger Schmerz hämmerte wie die schlimmste aller Migränen gegen mein Schädelinneres und machte die Sonnenbrille zu einer Notwendigkeit, um das Licht abzublocken. Manchmal schlug mein Herz völlig unstet, als ob es gleich explodieren wollte. Der Schaden war beträchtlich, und das Wenige an Energie, das noch in mir steckte, war nötig, um mich aufrecht und in Bewegung zu halten. Ich hätte Asher bitten können, mich bei meiner Selbstheilung zu unterstützen, aber diese Option war vom Tisch. Lieber hielt ich die
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