Die Macht der Sechs - das Erbe von Lorien ; Bd. 2
etwa die ganze Zeit, dass er hier oben war? Wieso haben sie mich dann nicht gefangen genommen, als sie die Möglichkeit dazu hatten?
Ich lasse mich wieder auf den Boden der Kirche hinunterschweben. »Er ist verschwunden, Adelina«, flüstere ich.
»Der Kasten?«
»Er ist weg.« Ich umarme sie und vergrabe mein Gesicht an ihrer Schulter. Adelina zieht etwas über ihren Kopf. Es istein blassblaues, beinahe durchsichtiges Amulett, das an einem beigefarbenen Band hängt. Vorsichtig legt sie es mir um. Es fühlt sich auf meiner Haut gleichermaßen warm und kalt an. Dann erstrahlt es in einem hellen Glühen. Mir bleibt die Luft weg.
»Was ist das?«, frage ich und bedecke den Stein mit den Händen.
»Ein Loralith. Der mächtigste Edelstein auf Lorien. Man kann ihn nur im Kern des Planeten finden«, flüstert sie. »Ich habe ihn die ganzen Jahre versteckt. Er gehört dir. Jetzt hat es keinen Sinn mehr, ihn zu verstecken.
Sie
wissen, wer du bist, mit oder ohne Amulett. Ich werde mir nie verzeihen, dass ich dich nicht richtig trainiert habe. Niemals. Es tut mir so leid, Marina.«
»Ist schon in Ordnung«, sage ich und spüre Tränen in meinen Augen.
In all den Jahren war es genau das, was ich gern von ihr haben wollte: Verständnis, Kameradschaft und das Bekenntnis zu gemeinsamen Geheimnissen.
***
Wir nähern uns dem Flughafen. Das Wissen um unsere baldige Trennung lastet schwer auf uns. Sam versucht sich abzulenken, indem er die Papiere untersucht, die Sechs aus dem unterirdischen Versteck seines Vaters mitgenommen hat. »Ich wünschte, ich könnte das hier irgendwo in einer Bibliothek mit anderen Quellen vergleichen.«
»Sobald wir aus West Virginia zurück sind«, sage ich. »Versprochen.«
Sechs erklärt Sam und mir sorgfältig, wie wir die Landkarte finden können, die uns den Weg zur Höhle zeigt. Die restlicheFahrt verbringen wir schweigend. Zwei Kilometer vor dem Flughafen fahren wir auf den Parkplatz einer McDonald’s-Filiale.
»Es gibt drei Dinge, die ihr wissen müsst.«
Ich seufze. »Wieso habe ich das Gefühl, dass keins davon positiv sein wird?«
Sechs ignoriert mich und schreibt etwas auf die Rückseite eines Kassenbons. »Erstens: Hier ist die Adresse, wo ich in genau zwei Wochen um fünf Uhr nachmittags sein werde. Kommt dorthin. Falls ich nicht da sein sollte oder ihr es aus irgendwelchen Gründen nicht rechtzeitig schafft, kommt ihr genau eine Woche später. Ich mache es ebenso. Und falls irgendjemand von uns bis dahin nicht aufgetaucht ist, kann man wohl davon ausgehen, dass er oder sie nicht mehr kommt.« Sie reicht den Zettel an Sam weiter, der ihn kurz durchliest und dann in die Tasche seiner Jeans steckt.
»Fünf Uhr nachmittags in zwei Wochen«, sage ich. »Gut. Und zweitens?«
»Bernie Kosar kann nicht mit euch in die Höhle gehen.«
»Wieso nicht?«
»Weil ihn das umbringen würde. Ich verstehe es nicht genau, aber die Mogadori kontrollieren ihre Monster, indem sie die Luft in der Höhle mit irgendeinem Gas versetzen, das nur bei Tieren wirkt. Verlässt eines der Monster seinen zugewiesenen Platz, fällt es tot um. Nachdem ich geflohen war, habe ich gleich am Höhleneingang einen Haufen toter Tiere gesehen, die zu nahe herangekommen waren.«
»Widerlich«, sagt Sam.
»Und das Letzte?«
»Die Höhle ist mit allen erdenklichen Überwachungsgeräten ausgestattet: Kameras, Bewegungsmelder, Scanner für die Körpertemperatur, Infrarotlicht und so weiter. Der Xithariswird euch erlauben, überall unerkannt vorbeizukommen, aber wenn seine Wirkung einmal nachlässt, werden sie euch finden. Seid also vorsichtig.«
***
»Wo gehen wir hin?«, frage ich Adelina. Nachdem der Kasten verschwunden ist, fühle ich mich ziemlich orientierungslos, sogar mit dem Amulett an meinem Hals.
»Wir gehen in den Glockenturm. Von dort lässt du uns mit deiner Telekinese auf den Hof hinunter. Dann rennen wir weg.«
Als ich Adelinas Hand nehme und loslaufe, explodiert plötzlich ein Feuerball im rückwärtigen Teil der Kirche. Die hinteren Kirchenbänke fangen Feuer, und die Flammen schießen zur hohen Decke empor. In der Kirche ist es jetzt heller als während der Sonntagsmesse.
Ein blonder Mann mit langen Haaren und Trenchcoat marschiert selbstsicher durch den nördlichen Korridor und blockiert unseren Weg in die Freiheit. Jeder Muskel in meinem Körper scheint zu erstarren und ich bekomme überall Gänsehaut.
Er steht da und beobachtet uns, während die Flammen auf weitere Kirchenbänke übergreifen.
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