Die Macht der Sechs - das Erbe von Lorien ; Bd. 2
sich aber immer noch locker bewegt, folgt als Letzter.
Oben angekommen bleiben wir stehen. So weit ich sehen kann, gibt es nur undeutliche Schatten von weiteren Hügeln, sonst nichts. Ganz leise höre ich irgendwo das Plätschern von fließendem Wasser. Ich drehe mich um. Acht leuchtende Taschenlampen sind mittlerweile am Highway erkennbar und haben sich um den Truck von Sams Vater verteilt. Aus beidenRichtungen kommen in einiger Entfernung weitere Streifenwagen angesaust. Bernie Kosar landet neben mir und verwandelt sich wieder in einen Beagle mit hechelnder Zunge. Der Polizeihund bellt. Er ist jetzt näher als vorher. Zweifellos folgt er unserer Spur, was bedeutet, dass die Polizisten nicht weit sein können.
»Wir müssen den Hund von unserer Spur abbringen«, sagt Sechs.
»Kannst du das hören?«, frage ich.
»Was hören?«
»Das Geräusch von Wasser. Irgendwo da unten muss ein Bach sein, vielleicht sogar ein Fluss.«
»Ich höre es!«, ruft Sam.
Plötzlich kommt mir eine Idee. Ich ziehe den Reißverschluss meiner Jacke herunter und streife mein Hemd ab. Reibe es quer über mein Gesicht und meine Brust und sauge dabei jedes bisschen Schweiß und Körpergeruch auf. Dann werfe ich es Sam zu. »Jetzt du.«
»Vergiss es. Das ist ja voll eklig.«
»Sam, halb Tennessee ist uns gerade auf den Fersen. Wir haben nicht viel Zeit.«
Er seufzt, folgt aber meinem Beispiel. Sechs macht es ihm nach. Sie ist sich zwar unsicher, was ich vorhabe, aber mehr als bereit, sich darauf einzulassen.
Ich ziehe ein neues Hemd an und schlüpfe wieder in meine Jacke. Sechs wirft mir das schmutzige Hemd zu und ich reibe es über Bernie Kosars Schnauze und Rücken. »Wir brauchen jetzt deine Hilfe, mein Freund. Bist du startklar?«
Ich kann ihn im Dunkeln zwar kaum erkennen, aber das Geräusch seines aufgeregt wedelnden Schwanzes ist unverkennbar. Wie immer ist er bereit, uns zu helfen, und freut sich des Lebens. Ich kann förmlich spüren, wie ihn die seltsame Faszinationdes Gejagtwerdens überkommt. Mir selbst geht es kaum anders.
»Was hast du vor?«, fragt Sechs.
»Wir müssen uns beeilen«, erwidere ich und beginne den Hügel in Richtung des fließenden Wassers hinunterzulaufen. Bernie Kosar verwandelt sich wieder in einen Vogel. Als wir alle losrennen, hören wir das gelegentliche Bellen und Heulen des Bluthunds. Er kommt immer näher. Ich frage mich, ob ich vielleicht mit dem Hund kommunizieren und ihm befehlen kann, unsere Verfolgung aufzugeben, falls mein Plan scheitert.
Bernie Kosar erwartet uns am Ufer eines breiten Flusses. Die Wasseroberfläche ist ziemlich ruhig, was mir verrät, dass der Fluss wahrscheinlich viel tiefer ist, als es dem Geräusch nach den Anschein hat.
»Wir müssen rüberschwimmen«, sage ich. Wir haben keine andere Wahl.
»Wie bitte? John, weißt du eigentlich, was mit dem menschlichen Körper passiert, wenn er in eiskaltes Wasser gerät? Durch den Schock gibt’s erst mal einen Herzstillstand. Und wenn dich das nicht umbringt, dann werden deine Arme und Beine total gefühllos und du kannst nicht schwimmen. Wir werden erfrieren und ertrinken«, protestiert Sam.
»Es ist die einzige Möglichkeit, den Hund von unserer Fährte abzubringen. Wir hätten zumindest eine Chance.«
»Das ist doch Selbstmord. Vergiss nicht, dass ich kein Alien bin.«
Ich lasse mich neben Bernie Kosar auf die Knie sinken. »Du musst das Hemd nehmen«, erkläre ich ihm. »Lauf zwei oder drei Kilometer und lass es über den Boden schleifen. Wir überqueren derweil den Fluss, damit der Bluthund unsere Fährte verliert und stattdessen dem Geruch des Hemds folgt. Sobald wir drüben sind, laufen wir noch ein Stück weiter. Wenndu fliegst, kannst du uns bestimmt ganz leicht wieder einholen.«
Bernie Kosar verwandelt sich in einen großen Weißkopfseeadler, greift sich das Hemd mit seinen Krallen und schießt davon.
»Wir haben keine Zeit zu verlieren«, sage ich und stopfe mir den Kasten unter den linken Arm, sodass ich mit dem rechten schwimmen kann.
Gerade als ich ins Wasser springen will, hält Sechs mich am Oberarm fest. »Sam hat recht, John. Wir werden erfrieren.« Sie sieht verängstigt aus.
»Sie sind schon viel zu nahe. Es gibt keine Alternative«, sage ich.
Sie beißt sich auf die Lippe, lässt ihren Blick über den Fluss schweifen und drückt wieder meinen Arm. »Doch, es gibt eine«, sagt sie und lässt meinen Arm los. In der Dunkelheit leuchtet das Weiße in ihren Augen. Mit einer Handbewegung schiebt sie
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