Die Macht der verlorenen Zeit: Roman
»Ich habe doch gesagt, dass Wade kein Geld für einen Arzt verschwenden will. Wegen Ihnen hat er jetzt Fieber. Ohne Ihre Einmischung ginge es ihm sicher schon besser.«
»Wegen mir?«
»Genau. Er hat gestern stundenlang im Regen gearbeitet … um Ihnen zu helfen. Dabei hat er sich erkältet, und jetzt muss er dafür büßen.«
Aber Paul war mit seinen Gedanken ganz woanders. »Warum haben Sie nicht gesagt, dass Ihr Bruder George Bescheid gesagt hat?«
»Ich dachte, Sie seien deswegen gekommen.« Paul schien verwirrt, also erklärte sie es genauer. »Ich dachte, Sie wollten ihn zur Arbeit zwingen.« Sie senkte den Kopf. »Ich liebe meinen Bruder. Er ist alles, was ich habe.«
»Aus diesem Grund holt George ja auch Dr. Hastings. Machen Sie sich keine Gedanken über das Honorar. Das ist meine Sache.«
»Das gefällt Wade ganz bestimmt nicht.« Sie funkelte ihn an. »Das klingt ja, als ob er Almosen annähme.«
»Hören Sie zu, Miss Remmen. Wenn Ihr Bruder noch ein paar Tage krank ist, kostet mich das weit mehr als das Arzthonorar. Im Augenblick brauche ich Wade dringender denn je. Seine Arbeit ist unersetzlich.«
Als Rebecca ihn zweifelnd ansah, begriff Paul, dass sie ihn nicht richtig verstanden hatte. »Ohne Wade kann ich meine Arbeit nicht bewältigen.« Es faszinierte ihn, wie sich der Ausdruck in den grünen Augen blitzartig veränderte.
Offenbar fand seine Erklärung Rebeccas Beifall. Jedenfalls lächelte sie und sah hinreißender aus denn je. Es war einfach überwältigend.
»Möchten Sie vielleicht eine Tasse Kaffee oder Tee?« Sie griff nach dem Kessel und stellte ihn aufs Feuer.
»Sehr gern, denn ich möchte noch hören, was der Arzt sagt.«
»Sie glauben doch nicht, dass es ernst ist, oder?«
»Vermutlich haben Sie recht, und Wade wird von ganz allein gesund.«
Sie seufzte und lächelte fast schüchtern. Dann bückte sie sich und stocherte im Feuer. Paul lehnte sich zurück und sah ihr zu.
Dr. Hastings bestätigte Rebeccas Vermutung, dass Wade sich überarbeitet, sich daraufhin erkältet und anschließend Fieber bekommen habe. Bettruhe und gute Ernährung würden ihn schnell wieder auf die Beine bringen. Paul verfügte, dass Rebecca ihn bis Montag pflegen und sofort Bescheid geben solle, falls sich keine Besserung einstellte. Damit verabschiedeten sich George und Paul.
Als sie die Straße erreichten, meinte George: »Rebecca ist in dich verliebt.«
Paul schnaubte nur unwirsch.
»Aber es ist so! Du hättest sie auf dem Ball sehen sollen. Ich habe einige Zeit mit ihr getanzt, aber sie konnte ihre Blicke nicht von dir abwenden! Wenn ich an diesem Abend nicht so beschäftigt gewesen wäre, hätte ich euch bekannt gemacht.«
Wieder schnaubte Paul, aber er sagte nicht, dass Rebecca das selbst besorgt hatte.
Aber George ließ nicht locker. »Immer wenn ich in Wades Cottage komme, bringt sie über kurz oder lang die Sprache auf dich.«
Paul zog die Brauen in die Höhe. »Heute Morgen hatte sie allerdings wenig Freude an mir.«
»Sie kann ganz schön wild werden und macht Wade gehörig das Leben schwer. Aber hübsch ist sie.«
»Und sehr jung, wie mir scheint.«
»Soviel ich weiß, ist sie siebzehn.« Er legte eine kleine Pause ein. »Weißt du was, Paul. Eine kleine Abwechslung würde dich auf andere Gedanken bringen.«
Paul lachte verächtlich. »Beim letzten Mal habe ich dabei genau das verloren, was mir wirklich etwas bedeutet hat.«
»Womöglich war Charmaine gar nicht die Richtige für dich.« George ließ seine Worte einen Augenblick lang wirken. »Über kurz oder lang kommt John wieder nach Hause … dann leidest du erneut an gebrochenem Herzen.«
Paul wandte den Blick ab. »Ist das so deutlich zu merken?«
»Aber ja.«
Paul schüttelte den Kopf. »Kannst du mir vielleicht verraten, wann alles so schwierig geworden ist? Ich denke oft an früher. Damals war das Leben einfach. Wir haben jeden Tag genossen und konnten unter zahllosen Frauen wählen.«
»Ich fürchte, wir sind erwachsen geworden.«
»Da magst du recht haben.«
Als es klopfte, löste sich Rebecca aus ihrem Traum und ging zur Tür. Womöglich kam Paul noch einmal zurück. Sie schwelgte noch in der Erinnerung an gemeinsame Augenblicke und verzog enttäuscht das Gesicht, als sie Felicia Flemmings, das ehemalige Hausmädchen, erblickte.
»Was hat Paul Duvoisin hier verloren?«
»Meinem Bruder geht es nicht gut. Paul hat nach ihm gesehen.«
Felicia schob sich an Rebecca vorbei ins Haus. »Hab ich richtig gehört? Du
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