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Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Titel: Die Macht der verlorenen Zeit: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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geheimste Gefühle nicht kennen, damit sie keine Macht über sie bekamen. Kurzentschlossen legte sie den Brief an seinen Platz zurück.
    Mit einem Mal überkam sie ein Albtraum. Sie fror. Wenn ihr Traum Wirklichkeit und John tot war, so war er jetzt bei Colette. Solange sein Vater lebte, hatte er sie ganz für sich allein. Dass er Colettes Brief stets gehütet und bei seinen persönlichsten Sachen aufbewahrt hatte, bewies nur seine verzweifelte Liebe zu dieser Frau, selbst über den Tod hinaus. Kein Wunder, dass er ohne Furcht den Verbrecher jagte, wusste er doch, dass Colette im Jenseits auf ihn wartete.
    Unwillkürlich dachte sie an den einzigen Brief, den sie in drei langen Monaten von ihm erhalten hatte. Doch selbst wenn sie noch am Leben wäre, hätte ich dich gewählt . Aber Colette lebte nicht mehr. Sie war im Paradies. Zusammen mit Pierre. Und John war bei seiner Familie. Sie wusste es. Sie schloss die Augen vor dem Bild, wie Colette und Pierre ihn umarmten, und kämpfte mit den Tränen. »O Gott!«, stöhnte sie. Dann warf sie sich aufs Bett und schluchzte bitterlich.
    Donnerstag, 20. Dezember 1838
    Paul war äußerst beunruhigt, als plötzlich die Heir im Hafen einlief. Sie hatte Charmantes im November verlassen und sollte eigentlich auf dem Weg nach Europa sein. »Will!«, rief Paul, als er an Deck kletterte. »Was ist geschehen?«
    »Ich fürchte, ich habe keine guten Nachrichten.« Dann berichtete Will Jones, was sich seit dem Anlegen der Heir in New York ereignet hatte. Paul wusste nicht recht, was er davon halten sollte. Unwillkürlich musste er an Charmaines Vorahnung denken.
    »Ihr Vater hat befohlen, dass ich am neunten Dezember den Anker lichten solle, aber ich habe einen Tag länger gewartet. Um ganz sicherzugehen, habe ich sogar einen Mann nach Ihrem Bruder suchen lassen. Offenbar wurde sein Haus von der Polizei durchsucht, und sie erschienen auch im Lagerhaus. Aber sie waren nicht besonders gesprächig, sodass ich nicht weiß, was vorgefallen ist. Normalerweise wären wir früher hier gewesen, aber wir hatten fast die Hälfte der Strecke mit Schneestürmen zu kämpfen.«
    Er bemerkte Pauls besorgte Miene. »Vielleicht haben Ihr Vater und John ja von der Suche der Polizei erfahren und sind untergetaucht. Ich weiß, dass Ihr Vater besorgt war.«
    »Oder«, dachte Paul laut, »Blackford hat sie verletzt, und die Polizei wollte die Familie verständigen.«
    Will zuckte die Schultern. »Bisher wissen wir nicht genug, um das Schlimmste anzunehmen.«
    »Das ist wahr, aber wie können wir das herausfinden?«
    Den übrigen Tag verbrachte Paul im Hafen. Die körperliche Anstrengung an der Seite der Hafenarbeiter und Matrosen half ihm, den Kopf freizubekommen und wieder klar zu denken. Er spielte mit dem Gedanken, sofort nach New York aufzubrechen, doch als er an Charmaine dachte, ließ er den Gedanken schnell wieder fallen. Er konnte ihr unmöglich erzählen, was er gehört hatte. Das würde sie nur unnötig beunruhigen. Und wenn er vor Weihnachten nach New York aufbrach, würde sie natürlich das Schlimmste vermuten. Wohl oder übel musste er sich noch zwei Wochen gedulden, bis Weihnachten vorüber war.
    Als es dunkel wurde und sich die Ladearbeiten dem Ende näherten, stand Pauls Entschluss fest. Die Tempest wurde täglich auf Charmantes erwartet. Gleich nach den Feiertagen wollte er an Bord seines neuesten Seglers nach New York aufbrechen.
    Heiliger Abend 1838
    Charmaine saß auf dem Sofa, und die kleine Marie schlief tief und fest in ihren Armen. Die Stimmung war ähnlich gedrückt wie im vergangenen Jahr. Im Haus war es still und friedlich, aber dem Frieden war nicht zu trauen. Seit drei Monaten hatten sie weder von John noch von Frederic ein Lebenszeichen erhalten. Paul sagte zwar immer, dass keine Neuigkeiten gute Neuigkeiten seien, doch Charmaine ahnte, dass ihr Traum etwas Schlimmes angekündigt hatte. Und während sie auf ihr Kindchen hinuntersah, fügte sie ihrer Litanei ein weiteres Stoßgebet hinzu.
    Rose und die Mädchen befestigten die letzten Girlanden am Kamin und hängten die Strümpfe für den Weihnachtsmann auf, ohne die kleine Marie dabei zu vergessen. Charmaine warnte die Zwillinge vor allzu großen Erwartungen, aber Yvette war ihrer Sache sicher.
    »In diesem Jahr kommt der Weihnachtsmann ganz bestimmt, weil Auntie Agatha ihn nicht mehr verscheuchen kann.«
    Erschrocken sah Charmaine zu Paul hinüber. Doch der schien unbeeindruckt und zwinkerte ihr nur vergnügt zu.
    Joshua und

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