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Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Titel: Die Macht der verlorenen Zeit: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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wollte! »Seit Maries Geburt habe ich sehr viel nachgedacht. Nach Weihnachten werde ich mich auf die Suche nach Ihrem Mann und meinem Vater machen. Es wird Zeit, dass wir erfahren, was geschehen ist.« Erstaunt sah Charmaine ihn an, doch er achtete nicht darauf. »Mein neuestes Schiff liegt augenblicklich im Hafen und hat Fracht für New York und Boston geladen. Wenn es Segel setzt, werde ich an Bord sein.«
    Voller Hoffnung schlug ihr Herz schneller. »Wollen Sie das wirklich tun, Paul?«
    »Das ist mein Weihnachtsgeschenk für Sie. Allerdings« – er zögerte – »allerdings möchte ich, dass Sie mir etwas versprechen.«
    »Und was?«
    »Falls ich mit schlechten Nachrichten zurückkomme – was nicht heißt, dass das so sein wird –, versprechen Sie mir, sich in angemessener Zeit zu überlegen, ob Sie mich heiraten wollen.«
    Widerstreitende Gefühle ließen Charmaine zu Boden blicken.
    »Ist der Gedanke denn so abstoßend?«
    »Nein, Paul, natürlich nicht.« Ihre Blicke trafen sich.
    Als er sah, dass sie den Tränen nahe war, nahm er sie in die Arme. Charmaine hielt sich an ihm fest und weinte ein wenig, während er ihr übers Haar strich und einen Kuss auf ihren Scheitel drückte. Sein Herz war schwer. Als sie zu ihm aufblickte, war es um seine Fassung geschehen. Er beugte sich vor und küsste sie zart auf die Lippen. Einen Moment lang ließ sie es geschehen, bevor sie einen Schritt zurücktrat. »Ich liebe Sie, Charmaine«, flüsterte er heiser. »Ich will immer für Sie und für Marie da sein.«
    Sie war verblüfft, als ihr erneut die Tränen kamen.
    »Ich … ich weiß, Paul«, murmelte sie und trocknete ihre Wangen. »Ich danke Ihnen sehr für Ihre Hilfe. Aber ich kann das nicht …«
    »Lassen Sie es gut sein, Charmaine. Ich will Sie nicht drängen. Sie sollen nur wissen, dass Sie nie mehr allein sein müssen.«
    Sie seufzte. Irgendwann musste sie der Wirklichkeit ins Auge sehen. »Ich werde es mir überlegen«, sagte sie. »Aber erst, wenn ich weiß, was geschehen ist … wenn alle Hoffnung verloren ist.«
    Paul ging zur Tür. »Gute Nacht«, murmelte er und zog sich zurück.
    Einen Augenblick lang war sie versucht, ihm nachzulaufen. Sie wollte ihn nicht lieben, aber sie wollte gern in jemandes Armen einschlafen, sich beschützt fühlen und die schreckliche Verzweiflung endlich einmal hinter sich lassen.
    Als Marie sich regte, war der Gedanke an Einsamkeit sofort vergessen. Charmaine hob ihre Tochter aus der Wiege und nahm sie mit zu sich ins Bett. Die Kleine trank gierig, und es dauerte nicht lang, bis Mutter und Tochter in friedvollen Schlummer fielen.
    Weihnachtstag 1838
    Rebecca Remmen stellte den Topf mit gekochten Kartoffeln auf den Tisch und sah zu, wie ihr Bruder dünne Scheiben von dem Schinken abschnitt, den er zum Weihnachtsessen besorgt hatte. Zusammen mit frischem Brot und grünen Zuckerbohnen war dies das beste Essen des ganzen Jahres. Von dem Schinken konnten sie mehrere Tage lang essen, und aus dem Knochen wollte Rebecca später eine Suppe kochen und somit den Genuss auf eine ganze Woche ausdehnen.
    Es gefiel ihr sehr, wenn Wade den ganzen Tag zu Hause war. Normalerweise war sie immer allein und meistens einsam. Sie war inzwischen siebzehn Jahre alt, aber trotzdem erlaubte Wade nicht, dass sie sich in der Stadt Arbeit suchte. Er hatte Angst, dass ein hübsches Mädchen wie sie nur Schwierigkeiten bekommen würde. Erst recht in einer so kleinen Stadt, in der ständig Matrosen eintrafen. Dabei konnte Rebecca sehr gut auf sich aufpassen. Aber Wade hatte sie bisher noch nicht überzeugen können. Außer an den Wochenenden, wenn sie ihn in die Stadt begleiten durfte, um Einkäufe zu erledigen und andere Menschen zu treffen, verließ sie ihr Cottage so gut wie nie. Paul Duvoisins Ball war das schönste Fest, das sie jemals besucht hatte, und ein unvergessliches Erlebnis, von dem sie noch immer träumte.
    Vor drei Jahren waren sie und ihr Bruder nach Charmantes gekommen. Seitdem hatte sich ihr Leben ständig verbessert. Inzwischen hatten sie genug zu essen, etwas zum Anziehen und außerdem ein Dach über dem Kopf. Aber Rebeccas Ehrgeiz war geweckt. Sie wollte mehr: Sie wollte Briefe schreiben, Bücher lesen und außerdem rechnen können, damit sie die Einkäufe bei Maddy Thompson bezahlen konnte. Sie hatte es gründlich satt, immer nur das ohnehin saubere Häuschen auf Hochglanz zu putzen, die Beete zu gießen oder Gemüse im Garten anzubauen. Sie hatte genügend Socken gestopft und Hemden

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