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Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Titel: Die Macht der verlorenen Zeit: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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Gefühle zu verbergen. »Bei meinem Arbeitspensum im Waisenhaus kommt manches zu kurz. Über ein Jahr, sagen Sie?«
    »Ja. Nach dem Tod ihrer Mutter war Charmaine oft sehr verzweifelt. Unter anderem auch weil ihr Vater nie gefasst wurde. In meinen Augen waren die große Entfernung und neue Gesichter die beste Voraussetzung für einen Neuanfang, wenn man so will.«
    »Da haben Sie zweifellos recht. Ist sie denn glücklich?«
    Loretta seufzte. »Im vergangenen Jahr hat die Familie zwei schreckliche Tragödien erleben müssen. Natürlich hat Charmaine das sehr berührt, aber alles in allem ist sie glücklich.«
    »Wenn Sie ihr das nächste Mal schreiben, dann sagen Sie ihr doch bitte, dass ich nach ihr gefragt habe.«
    »Das tue ich gern, Father.«
    Auf dem Weg zurück ins Waisenhaus überschlugen sich die Gedanken in Michaels Kopf. Charmaine lebte bei den Duvoisins! Sie hatte zwei Menschen sterben sehen: den kleinen Jungen vor sechs Monaten und zuvor seine Mutter. Sicher hatte sie allen Schmerz noch einmal durchlebt. Und John … Sie musste ihn kennen und er sie! Für den Rest des Tages konnte Father Michael an nichts anderes mehr denken.
    Loretta blieb ratlos zurück. Warum kam Father Michael erst jetzt zu ihnen, wenn er Marie doch versprochen hatte, sich um ihre Tochter zu kümmern? Und warum nahm ihn das offensichtlich so mit? Ja , dachte Loretta, das war wirklich seltsam!

Charmantes
    Das Licht fiel auf das Metall und enthüllte eine silbrig schimmernde Inschrift: Meine Liebe, mein Leben . Mit zitternden Fingern ließ Agatha das Medaillon zuschnappen und legte es vor sich auf den Frisiertisch. Es war Elizabeths Hochzeitsgeschenk von Frederic.
    Die bitteren Erinnerungen verblassten, als sie aufsah und ihr Spiegelbild betrachtete. Elizabeth hatte verloren, und nun war sie an der Reihe. Nach jahrelanger Planung und zahllosen Intrigen hatte sie endlich gesiegt, und heute Nacht würde sie ihren Triumph vollenden. Die Ironie des Schicksals ließ Agatha leise auflachen. Elizabeth lag schon viele Jahre im Grab und hatte Frederic nur sechs glückliche Ehemonate beschert. Sie dagegen hatte ihm mit Paul einen Schatz geschenkt, der heute sein ganzer Stolz war und der das Vermächtnis der Duvoisins weitertragen würde.
    Wieder betrachtete sie das Medaillon. Wenn sich Elizabeth nicht eingemischt hätte, wäre sie die strahlende Empfängerin dieses Prachtstücks gewesen. Doch heute spielte das keine Rolle mehr. Heute war die Zeit auf ihrer Seite, denn nun war sie es, die an Frederics Arm den Ballsaal betrat und ihren Sieg vollendete.
    Das festliche Dinner war für sechs Uhr angesetzt. Die Zwillinge trugen bereits die neuen blassblauen Chiffonkleider mit weißer Spitze, die ihre Augen besonders betonten. Colettes Augen. Die Mädchen wurden ihr immer ähnlicher, und bald genug würden sie genauso aussehen wie sie. Im Augenblick hüpften sie aufgeregt durchs Zimmer und konnten gar nicht abwarten, dass sie endlich nach unten durften. Schon drangen erste Stimmen bis zu ihnen herauf. Sehnsüchtig sah Charmaine das hübsche Ballkleid an, das an diesem Abend nicht zu Ehren kam. Da sie dank Agathas Winkelzügen nur als Gouvernante der Kinder bei Tisch geduldet war, hatte sie ihrer Stellung entsprechend ihr bestes Sonntagskleid angezogen. Frederic wünschte, dass seine Töchter am festlichen Dinner teilnahmen und auch den Ball, der um acht Uhr dreißig begann, eine Stunde lang miterlebten. Anschließend wollte es sich Charmaine mit einem Buch in ihrem Zimmer bequem machen und nicht weiter darüber nachdenken, was ihr entging.
    Dank der neuen Schuhe hallten die Schritte der Mädchen laut durchs Foyer, als sie über die Marmorfliesen zum Ballsaal gingen. Die Türen standen weit offen und präsentierten den Saal in seiner ganzen Pracht und erfüllt vom Stimmengewirr einer erwartungsfrohen Menschenmenge. Fast Ehrfurcht gebietend, dachte Charmaine. Sie nahm die Mädchen an der Hand und betrat zusammen mit ihnen den Saal.
    In hohen Kandelabern brannten zahllose Kerzen, und das flackernde Licht spiegelte sich tausendfach im Porzellan und in den Gläsern wider, und kunstvolle Arrangements aus frisch gepflückten Blumen krönten die vier runden Tafeln. Elegant gekleidete Ladys spazierten mit einem Glas in der Hand am Arm ihrer Begleiter umher und unterhielten sich, tranken oder stießen miteinander an oder labten sich bereits an den Horsd’œuvres.
    Während die Mädchen zu einem der Diener liefen, um sich ein Glas vom Tablett zu nehmen,

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