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Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Titel: Die Macht der verlorenen Zeit: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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»Wollten Sie nicht eine Suchmannschaft zusammenstellen? Jetzt wollten wir schon nach Ihnen suchen!«
    »Ich fürchte, ich habe mich verirrt. Komme ich zu spät zum Dinner?«
    Freitag, 6. April 1838
    »Das war’s, Charmaine.« Lächelnd steckte Mercedes die letzte Nadel fest. »Nach dem Lunch erledigen wir den Rest.«
    Charmaine kletterte vom Stuhl herunter und freute sich auf die kleine Pause. Zum Glück war John mit den Zwillingen schwimmen gegangen, damit sie nicht vor Langeweile umkamen.
    »Ich möchte gern, dass du dir die Sitzordnung noch einmal ansiehst, bevor ich sie den Mädchen übergebe«, sagte Agatha zu Paul, als Mercedes und Charmaine ins Esszimmer kamen.
    »Wo darf ich denn sitzen?« Kokett lächelte Anne Paul zu.
    »Am Kopf der Tafel natürlich, direkt neben Paul«, antwortete Agatha. »Schließlich sind Sie ein besonderer Gast und auf Pauls ausdrückliche Einladung hier. Es wird ihm eine Ehre sein, Sie zu Tisch zu führen.«
    »Phantastisch!«, jubelte Anne, während Paul Agatha verwundert ansah.
    »Agatha …«, begann er. Dann besann er sich und sah hilfesuchend zu seinem Vater hinüber. Doch Frederic war mit seiner Zeitung beschäftigt und hatte überhaupt nicht zugehört.
    Um ihre Enttäuschung zu verbergen, lief Charmaine in die Küche. Sie spürte, dass Paul und Mercedes ihr nachsahen, doch sie wollte sich nicht umdrehen. Sie verzichtete auf den Lunch und lief stattdessen über die Küchentreppe nach oben in ihr Zimmer. Das neue Kleid lag ausgebreitet auf dem Bett. Um nicht loszuheulen, nahm sie Nadel und Faden und machte sich wieder an die Arbeit. Alle ihre Träume waren zunichtegemacht, und wieder war die schreckliche Agatha an allem schuld.
    Als es klopfte, zog sie eine Grimasse. Aber nach dem zweiten Klopfen öffnete sie und stand einem wütenden Paul gegenüber.
    »Kann ich Sie einen Augenblick sprechen, Charmaine?«, fragte er und deutete auf den Korridor. Charmaine verließ ihr Zimmer, doch als sie aus dem Treppenhaus die Stimmen anderer Gäste hörten, zog Paul sie zur Hintertreppe. »Kommen Sie, im Garten können wir ungestörter reden.«
    Er schwieg, bis sie fast die Mitte des Gartens erreicht hatten. »Es tut mir leid, was beim Lunch passiert ist«, sagte er dann und verschränkte die Hände auf dem Rücken. »Ich hatte keine Ahnung von Agathas Plänen.«
    Charmaine versuchte tapfer, ihre Traurigkeit zu verbergen. »Vielleicht könnten Sie Anne ja sagen, dass es sich um ein Missverständnis handelt.«
    Pauls Miene verdüsterte sich. »Ich fürchte, das gehört sich nicht. Anne wäre sicher zutiefst beleidigt und gekränkt. Die übrigen Gäste könnten sich von der schlechten Stimmung anstecken lassen, und dann wäre alles verdorben.«
    Charmaine rang sich ein zaghaftes »Ich verstehe« ab und senkte den Kopf.
    »Charmaine.« Paul ergriff ihre beiden Hände. »Das alles tut mir wirklich sehr leid. Ehrlich.« Als sie schwieg, fühlte er sich entsetzlich hilflos. Er wollte sie unbedingt trösten. »Ich habe mich so sehr darauf gefreut, Sie zu Tisch zu führen, aber ich werde das wiedergutmachen.«
    Verwirrt und verletzt zugleich sah sie zu ihm auf.
    »Charmaine …«, murmelte er. Er suchte nach den richtigen Worten. Dann begann er noch einmal, obwohl er sich vor dem fürchtete, was er sagen wollte … und doch schien es genau der richtige Zeitpunkt zu sein. »Morgen beim Ball wird Anne mich begleiten, aber Sie will ich für immer an meiner Seite haben. Wollen Sie mich heiraten?«
    Charmaine fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. In den letzten Monaten hatte sie zwar viel Zeit mit Paul verbracht, aber doch nie mit so etwas gerechnet. Sie stand wie erstarrt da, so unglaublich war dieser Vorschlag. Und das Herzklopfen, das sie hätte empfinden müssen, wollte sich auch nicht einstellen. Sie war völlig durcheinander.
    Charmaines Schweigen verunsicherte Paul zutiefst, denn eigentlich hatte er mit einem begeisterten »Ja« gerechnet. Warum sagt sie denn nichts? »Nun, Charmaine, wie Sie sehen, warte ich voller Ungeduld. Wie lautet denn Ihre Antwort?«
    »Ich … ich muss darüber nachdenken«, sagte sie leise und errötete.
    »Nun gut«, murmelte er und dachte nur: Jetzt ist sie mir böse . »Dann will ich Sie nicht drängen und Ihnen noch etwas Zeit lassen.«
    Als sie nichts darauf erwiderte, machte Paul kehrt und verließ rasch den Garten. Es schmerzte ihn gewaltig, dass er auf seinen mutigen Schritt nur diese unverbindliche Antwort bekommen hatte.

3

    Samstag, 7. April

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