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Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Titel: Die Macht der verlorenen Zeit: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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1838
    »Wollen Sie mich heiraten, Charmaine?«
    Sie schrak aus dem Schlaf empor und starrte an die Decke. Dann drehte sie sich auf die Seite und weinte in ihr Kissen. Es war kein Traum! Aber warum weinte sie, wenn ihre Phantasie doch Wirklichkeit geworden war?
    Dumme Frage! Du kennst den Grund genau! John. Die Antwort war so einfach, wie seinen Namen zu flüstern. Mercedes hatte recht. Sie war in ihn verliebt.
    Gütiger Gott! Was soll ich tun? Welche Antwort soll ich Paul geben?
    Keine sechs Monate zuvor hätte sie gejubelt. Noch letztes Jahr hatte sie Paul geliebt, aber warum war sie mit einem Mal so unentschlossen? War sie auch nicht besser als er?
    Ein Schwur ist leicht gegeben, aber woher weiß man, was man Jahre später füreinander fühlt …
    Jahre später? Sie stöhnte.
    Ihre Liebe zu Paul war schon nach ein paar Monaten erloschen. Wie konnte man auf Gefühle vertrauen, die so rasch vergingen? Ja, im Augenblick sehnte sie sich nach John. Doch woher konnte sie wissen, dass es Liebe war, wenn auch andere Gefühle im Spiel waren? Einsamkeit, Trauer und Mitgefühl. Was, wenn es keine Liebe war? Wenn nur eine Woge des Mitleids ihre Gefühle für Paul überrollt hatte?
    Ja, so war es. Das klang vernünftig.
    Aber ihre Erleichterung hielt nicht lange an. So sehr konnte sie sich nicht täuschen. Das Glücksgefühl, das sie bei Johns Rückkehr empfunden hatte, die Erinnerung an seine Lippen … all das spottete jeder Vernunft. Sie hatte sich schon lange vor Pierres Tod zu ihm hingezogen gefühlt. Ich liebe ihn! Ich liebe ihn.
    Aber was war mit John? Empfindet er dasselbe für mich?
    Bisher hatte er ihr keinen Grund für eine solche Annahme gegeben. Er war zurückgekommen, das schon. Und er hatte auch gesagt, dass er seinen Schwestern zuliebe vielleicht länger bleiben wollte. Aber wie passte sie da hinein? Vor sechs Monaten war er fortgegangen und hatte sie alleingelassen, als sie ihn am nötigsten gebraucht hätte.
    Sie schluckte den Schmerz hinunter. Während der schlimmen Monate hatte Paul sie getröstet, sich um sie gesorgt, mit ihr geweint, sie im Arm gehalten und beschützt. Durfte sie seine Gefühle jetzt einfach beiseiteschieben? Ihn so verletzen?
    Selbst wenn John heute sagte, dass er sie liebte … wollte sie darauf vertrauen? Sie musste darüber nachdenken. Ich würde jeden Penny dafür geben, um sie auch nur eine Sekunde lang wieder im Arm zu halten! Ich habe sie geliebt, Charmaine, und werde sie immer lieben …
    Närrin! Welche Närrin sie doch war! Mit Colette konnte sie sich niemals messen.
    Wieder brach sie in Tränen aus.
    Als sie aufstand, war sie froh, dass sie nicht am Ball teilnehmen und somit Paul nicht gegenübertreten musste. Es blieb ihr noch ein Tag, um ihr Dilemma zu lösen. Ein ganzer Tag, bis Paul ihre Antwort erwartete. Sie hatte noch Zeit, um sich zu entscheiden.

Richmond
    Father Michael stand im Salon der Harringtons und rang nervös die Hände. In der letzten Woche hatte er mehrmals geübt, was er sagen wollte. Dennoch raste sein Puls. Loretta erschien und war ebenso überrascht wie zuvor ihre Haushälterin. »Was führt Sie zu uns, Father Michael?«
    »Eigentlich hatte ich gehofft, Sie an den letzten beiden Sonntagen nach der Messe zu treffen.«
    »Joshua hat sich während der letzten Wochen nicht wohlgefühlt. Aber inzwischen geht es ihm wieder besser.«
    Michael schmunzelte. »Deswegen bin ich aber nicht hier. Vielmehr sorge ich mich um Charmaine Ryan. Ich habe sie schon lange nicht mehr in der Messe gesehen. Dabei hatte ich Marie versprochen, mich um sie zu kümmern!«
    »Charmaine?«, fragte Loretta. Sie war zutiefst verwirrt. »Aber, aber, Father Michael! Charmaine lebt doch schon seit mehr als einem Jahr auf den Westindischen Inseln.«
    »Auf den Westindischen Inseln?«
    »Ganz richtig. Sie arbeitet bei den Duvoisins«, fuhr sie fort. »Wie Sie wissen, besitzt die Familie noch einen Wohnsitz auf Charmantes. Frederic Duvoisin und seine Frau haben vor gut einem Jahr eine Gouvernante für ihre drei Kinder gesucht. Charmaine hat damals die Stelle bekommen.«
    »Als Gouvernante, sagen Sie?«
    Sein banger Ton und der besorgte Gesichtsausdruck machten Loretta Angst. »Es geht ihr bestens, Father. Meine Schwester und mein Schwager leben auf Charmantes. Durch sie haben wir damals von der Stelle erfahren. Es tut mir sehr leid, Father, aber von Ihrer Sorge um Charmaine ahnte ich ja nichts. Hätte ich das gewusst …«
    »Nein, nein«, wehrte der Priester ab und mühte sich, seine

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