Die Macht der verlorenen Zeit: Roman
Männern vertrauen, um Paul diese Frau vergessen zu machen.
Einige Minuten lang tanzten Paul und Charmaine schweigend, doch das aufregende Gefühl, in seinen Armen zu liegen, wollte sich nicht mehr einstellen.
»Sie haben ja nicht lange gebraucht, um Ihre Pläne zu ändern.«
Diese Bemerkung verletzte Charmaine. »Ich habe meine Pläne nicht geändert. John hat mich eingeladen. Das ist keine halbe Stunde her.«
Im Kreis einiger Matronen erspähte sie Mary Stanton, deren Blick sie verfolgte.
»Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie sich geärgert haben?«
Charmaines Blick kehrte zu Paul zurück. »Geärgert? Worüber denn?«
»Dank Johns Einladung konnten Sie es mir heimzahlen.«
Langsam keimte ein Verdacht in ihr auf. »Was wollte ich Ihnen heimzahlen?«
»Die Sache mit Agatha und Anne. War das etwa kein Denkzettel?«
»Aber nein!« Charmaine war entrüstet, dass er sie für so kleinlich hielt.
Sein leises Lachen machte sie nur noch wütender.
»Ich habe mich nicht geärgert, Paul, aber ich war sehr enttäuscht. John hat das gespürt und mich eingeladen, damit ich den Ball miterleben kann.«
»John versteht es meisterlich, anderen Männern die Frauen auszuspannen.« Das sagte er so leise, dass nur Charmaine es hören konnte. »Wollen Sie etwa sein nächstes Opfer sein?«
Sie wurde zornig, doch sie widerstand dem Wunsch, ihn einfach stehen zu lassen. Stattdessen sah sie ihm in die Augen und bemühte sich um einen besonders liebenswürdigen Ton. »Wenn Sie heute Abend Wort gehalten hätten, hätte John mich nicht stehlen können.«
»Also sind Sie doch wütend!«
»Jetzt ja!«
Die letzten Takte tanzten sie in eisigem Schweigen. Paul sah ihr nach, als sie zu seinem Bruder hinüberging, der am Rand der Tanzfläche mit zwei Gläsern wartete.
John reichte ihr eines. »Hat er Sie geärgert, my charm ?«
»Ich möchte nicht darüber reden.«
»Und warum nicht? Hat er Sie geschimpft?«
»Ich habe gesagt, dass ich nicht darüber reden möchte.«
»Sie hätten ihm die Meinung sagen können.«
»Nein. Ich wollte keine Szene machen. Dazu ist für Paul diese Woche zu wichtig.«
»Er selbst scheint sich keine allzu großen Sorgen zu machen«, schimpfte John. »Aber zum Glück passen Sie ja auf ihn auf.«
»Paul war immer sehr gut zu mir. Sie verstehen das vielleicht nicht, John, aber ich habe ihn wirklich gern.«
John ließ das Thema lieber auf sich beruhen, obwohl ihn das »ich habe ihn wirklich gern« etwas verwirrte. Pauls Antrag hatte sie nicht angenommen, doch was wollte sie damit sagen?
George und Mercedes hatten so gut wie jeden Tanz miteinander getanzt, doch nun hatten sie sich in den hintersten Teil des Gartens geflüchtet, wo sie vor neugierigen Augen sicher waren. George konnte nicht aufhören, Mercedes zu küssen. Wie John es geschafft hatte, sie zum Kommen zu überreden, konnte er nur ahnen. Was auch immer er gesagt hatte – er war ihm dankbar! Dies war die aufregendste Nacht seines Lebens. Wieder beugte er sich hinunter und küsste ihre Lippen. Am Montag musste sie nach Richmond zurückkehren. Aber er war dagegen. Er liebte sie doch so sehr. »Mercedes?«, murmelte er dicht an ihrem Ohr.
»Ja …?«, flüsterte sie und umschlang ihn.
»Willst du mich heiraten?«
Sie umschlang ihn fester. »Ja, George! O ja!«
»Darf ich um diesen Tanz mit der Lady bitten?«
John drehte sich zu Geoffrey Elliot um, der ihm auf die Schulter geklopft hatte und Charmaine mit gierigen Blicken verschlang. »Steht Ihr Name denn auf ihrem Tanzkärtchen?«
»Nun … so gesehen … nein.«
»Dann nehmen Sie das als Antwort.« Er zog Charmaine mit sich fort und ließ den beleidigten Geoffrey mitten auf dem Parkett stehen.
Als nächster Tanz folgte eine Quadrille, die Charmaine mit Mercedes, George und John zusammenführte. Bis dahin war sie der Meinung gewesen, dass niemand glücklicher sei als sie, doch als sie George ansah, strahlten seine Augen intensiver denn je. Als der Tanz endete, trat Rose zu ihnen und zog ihren Enkel mit sich fort. Charmaine musste lachen, als er seiner drahtigen Großmutter kaum folgen konnte.
An diesem Abend war John der perfekte Gentleman, und wie eine Debütantin sah Charmaine immer wieder verstohlen zu ihm auf. Sie bewunderte seine Erscheinung und das Spiel des Lichts auf seinem Haar und fühlte sich seltsam erregt, wenn seine Hand ihre Haut streifte oder sie so dicht beieinandersaßen, dass ihre Schultern sich berührten.
Im Ballsaal war es entsetzlich heiß, sodass sich
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