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Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Titel: Die Macht der verlorenen Zeit: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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Arme. Sie reichte ihm ihre Hand und legte die andere auf seine Schulter. Dann überließ sie sich der Musik und folgte dem Druck der warmen Hand an ihrer Taille. Offenbar beherrschte John die Schritte besser, als er zugab, und ganz allmählich kehrte auch bei Charmaine die Erinnerung an ihre Tanzstunden bei Loretta Harrington zurück. Sie hob den Blick von ihren ungelenken Füßen und sah zu ihm auf.
    Er lächelte ihr zu, und dann hielten ihre Blicke einander fest, bis Charmaine weder den Raum noch die Menschen um sie herum wahrnahm und nur noch die Musik, der Duft der Blumen und dieser Mann existierten. Seit Monaten hatte es keinen Augenblick gegeben, in dem sie nicht heimlich Hoffnungen gehegt hätte. Mit einem Mal wurde ihre Kehle eng, und tiefe Röte überzog ihre Wangen.
    Als der Walzer endete, trat sie einen Schritt zurück. Zum Glück deutete John ihre Röte ganz harmlos. »Es ist ziemlich warm, nicht wahr?« Er führte sie zu den französischen Türen. »Ich hole uns etwas zu trinken.«
    Sie war froh, als er ging, weil sie sich erst einmal sammeln musste.
    Frederic stand an einer Seite des Ballsaals und beobachtete, wie Charmaine mit John tanzte. Er war neugierig geworden, als sie am Arm seines Sohnes auf dem Ball erschien. Vom ersten Moment an zogen die beiden die Blicke aller auf sich, und es wurde eifrig geklatscht. Irgendwann fiel ihm auf, dass er diesen Gesichtsausdruck bei Charmaine noch nie in Pauls Gegenwart bemerkt hatte, und im selben Moment wusste er, warum die Beziehung zwischen Charmaine und Paul seit Monaten keine Fortschritte machte. Sie ist in John verliebt .
    Wenn er zurückdachte, so hatte er die beiden schon öfter als Paar wahrgenommen. Begonnen hatte es an dem Tag, als er John und Charmaine zum ersten Mal zusammen gesehen hatte. Das nächste Mal, als Agatha dem kleinen Pierre den Hintern versohlt hatte. Auch als er Colettes Gegenwart im Haus so deutlich gespürt hatte. Und am Geburtstag der Zwillinge, als er heimlich zugesehen hatte, wie John Charmaine zum Ritt auf der gescheckten Stute überredet hatte. Dann wieder am Abend, als Yvette in der Bar gepokert hatte und Charmaines Blicke bei John nach Hilfe gesucht hatten und nicht bei Paul. Nie im Leben würde er die furchtbaren Tage vergessen, als Pierre im Sterben lag, die unzähligen Stunden, die Charmaine an seinem Bett gewacht hatte, auch nicht ihr Mitgefühl mit John und die herzergreifenden Tränen, die sie vergossen hatte. Und zuletzt vor einer Woche, als sie bei Johns Rückkehr zum ersten Mal über das ganze Gesicht gestrahlt hatte.
    Während er die beiden beobachtete, zeigte sich ein erster Hoffnungsschimmer am Horizont. Nach zehn schwierigen Jahren wirkte John zum ersten Mal glücklich und gelöst. Der Zynismus, der ihm früher als Schutzschild gedient hatte, war abgefallen. Frederic schloss die Augen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass John endlich jemanden gefunden hatte, der ihm ganz allein gehörte.
    »Sie sind also doch heruntergekommen.« Bei den ersten Tönen des nächsten Walzers stand urplötzlich Paul vor ihr. »Darf ich um diesen Tanz bitten?«
    Charmaine nickte nur stumm, da sie ihn unmöglich abweisen konnte, ohne ihn zu kränken. Von John war weit und breit nichts zu sehen. Paul führte sie zur Tanzfläche, wo sie sich willenlos in die Arme nehmen ließ. Den Kopf hielt sie gesenkt und das Gesicht abgewandt, sodass sie im Vorübertanzen nur da und dort in fragende Mienen blickte.
    Als Anne London sah, dass Paul mit Charmaine tanzte, konnte sie ihren Zorn kaum noch beherrschen. Zuerst Mercedes … und nun das. Ich habe Sie unterschätzt, Charmaine Ryan. Sie haben nicht nur John betört, sondern auch Paul. Was für ein Spiel spielen Sie eigentlich?
    Es juckte sie schon den ganzen Abend, nähere Einzelheiten über Frederics neues Testament und Johns Verbindung zu den Gegnern der Sklaverei herauszubekommen, doch leider hatte die Drohung ihres Vaters sie zum Stillschweigen verdonnert. Im Grunde interessierte die Gouvernante sie nicht. Sie war nur eine Angestellte, nichts weiter. Und doch war sie auf dem Ball erschienen … ausgerechnet an Johns Arm … in einem atemberaubenden Kleid und mit offenen Haaren … Und nun tanzte diese Person auch noch mit Paul und errötete sogar in seinen Armen! Es wurde Zeit, dass sie etwas unternahm! Zum Glück hatte ihr Vater ihr nicht verboten, Gerüchte über die Gouvernante auszustreuen. So wollte sie beginnen und danach alle Vorsicht fahren lassen und auf ihre Erfahrungen mit

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