Die Macht des Geistes
Maschinenpistole auf dem Stuhl neben sich, ein Chemiefachbuch auf dem Schoß. Der Mann sah auf und begrüßte ihn mit einem ernsten Nicken. »Hallo, Pete«, sagte er dabei.
»Schwierigkeiten gehabt, Jim?«
»Noch nicht. Aber das kann noch kommen, wenn die Verrückten dort draußen sich plötzlich einbilden, alle Wissenschaftler müßten zum Teufel gejagt werden.«
Corinth fühlte sich trotz dieser düsteren Zukunftsaussichten plötzlich erleichtert. Wenigstens hier gab es noch vernünftige Menschen, die sich nicht von der allgemeinen Hysterie anstecken ließen, sondern ruhig bei ihrer Arbeit blieben.
Der Fahrstuhlführer war ein sieben Jahre alter Junge, der Sohn eines Wissenschaftlers des Instituts; er hatte schulfrei, denn sämtliche Schulen waren geschlossen. »Guten Morgen, Sir«, sagte er fröhlich. »Ich habe schon auf Sie gewartet. Wie hat Maxwell seine Gleichungen ausgearbeitet?«
»Was?« Corinth sah erst jetzt das geöffnete Buch auf dem Hocker neben dem Jungen. »Befaßt du dich jetzt mit Radiotechnik? Aber Cadogan ist für den Anfang vielleicht noch zu schwer, vielleicht versuchst du es lieber mit ...«
»Ich habe mir einige Schaltpläne angesehen, Mister Corinth«, unterbrach der Junge ihn. »Jetzt möchte ich wissen, warum sie funktionieren, aber Cadogan bringt nur die Gleichungen.«
Corinth nannte den Titel eines Fachbuchs. »Wenn du damit fertig bist, kommst du am besten wieder zu mir.« Er lächelte, als er im siebenten Stock den Lift verließ, aber das Lächeln verblaßte, als er den Korridor entlangging.
Lewis wartete bereits auf ihn. »Verspätet«, stellte er fest.
»Sheila«, antwortete Corinth.
Ihre Unterhaltung beschränkte sich in letzter Zeit immer mehr auf einzelne Wörter oder Satzfetzen. Bei einem Gespräch zwischen zwei Menschen, deren Intelligenz sich vervierfacht hatte, genügten bereits einzelne Wörter, eine Handbewegung und ein bestimmter Gesichtsausdruck, um mehr auszudrücken, als andere Leute in zehn Sätzen sagen konnten.
»Sie haben sich heute morgen verspätet«, hatte Lewis gemeint. »Hat es Schwierigkeiten gegeben?«
»Ja, wegen Sheila«, hatte Corinth ihm erklärt. »Es geht ihr nicht sehr gut. Nat, ich mache mir wirklich Sorgen um sie. Aber was kann ich für sie tun? Ich verstehe die menschliche Psychologie nicht mehr, weil sie sich so schnell verändert. Die damit verbundene Entfremdung ist wirklich erschreckend.«
Lewis nickte und erhob sich. »Kommen Sie, Rossman ist hier und hat alle Abteilungsleiter zu einer Besprechung zu sich gebeten.«
Sie verließen das Laboratorium und gingen dabei an Johansson und Grunewald vorbei, die in ihre Arbeit vertieft waren: Bestimmung der veränderten physikalischen Konstanten, Neueichung der Meßinstrumente und Festsetzung der in Zukunft gültigen Gesetzmäßigkeiten. In allen anderen Laboratorien des Instituts waren Wissenschaftler damit beschäftigt, die aufgetretenen Veränderungen zu registrieren. Sie klagten darüber, daß sie von Zeit zu Zeit schlafen mußten, denn es gab soviel zu tun.
Die Abteilungsleiter hatten sich im Konferenzraum versammelt. Rossman saß unbeweglich an der Spitze des langen Tisches. Links neben ihm hatte Helga Arnulfsen Platz genommen, rechts von ihm saß Felix Mandelbaum. Corinth fragte sich zunächst, was die Anwesenheit des Gewerkschaftsführers zu bedeuten hatte, aber dann fiel ihm ein, daß Mandelbaum vermutlich die Notregierung der Stadt vertrat.
»Guten Tag, meine Herren«, begann Rossman. Er bestand auf seiner altmodischen Höflichkeit, die lächerlich gewirkt hätte, wenn ein anderer als Rossman sich ihrer bedient hätte. »Nehmen Sie bitte Platz.«
Alle schienen anwesend zu sein, denn Rossman sprach sofort weiter: »Ich bin vor einer Stunde aus Washington zurückgekommen und habe Sie zu dieser Besprechung gebeten, weil ich glaube, daß ein Austausch von Ideen und Informationen dringend angebracht ist. Für Sie ist es besser, einen allgemeinen Eindruck zu haben, und ich bin bestimmt erleichtert, wenn Sie mir eine wissenschaftlich fundierte Erklärung dieses Phänomens geben können. Vielleicht können wir gemeinsam vernünftig planen.«
»Wir sind uns innerhalb des Instituts weitgehend darüber einig, daß Doktor Corinths Theorie richtig ist«, antwortete Lewis. »Das setzt die Existenz eines teilweise elektromagnetischen Feldes voraus, dessen Ursprung irgendwo im Mittelpunkt der Galaxis liegt. Die Strahlung breitet sich kegelförmig aus, wobei dieser Kegel an der breitesten
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