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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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uns neugierig erwarten. »Das ist Marcella Wentworth. Sie hat früher im Kriminallabor gearbeitet, bevor sie uns im Stich gelassen hat und in die freie Wirtschaft gegangen ist.«
    Ich könnte platzen vor Freude. Nicht etwa, weil Marcella und ich so eng befreundet wären, sondern weil ich so wenig unter Menschen bin. Von Zeit zu Zeit kommt Patrick vorbei. Und natürlich habe ich meine Familie. Aber die meisten meiner Freunde sind auch Kollegen, und nach der letzten Anhörung bleiben sie auf Distanz.
    Â»Sind Sie beruflich oder privat hier?« fragt Caleb.
    Marcella wirft mir einen Blick zu, weiß nicht recht, was sie sagen soll.
    Â»Ich hatte Marcella gebeten, den DNA -Test unter die Lupe zu nehmen.«
    Calebs Lächeln wird ein winziges bißchen schwächer, so wenig, daß man es nur bemerkt, wenn man ihn so gut kennt wie ich. »Also, ich würde vorschlagen, ich gehe mal mit Nathaniel nach draußen, damit ihr euch in aller Ruhe unterhalten könnt.«
    Als sie weg sind, führe ich Marcella in die Küche. Wir reden über die Temperaturen in Virginia um diese Jahreszeit und wann wir hier den ersten Frost hatten. Ich mache uns Tee. Dann halte ich es nicht länger aus und setze mich ihr gegenüber. »Sie haben gute Nachrichten, oder? Die DNA paßt doch, nicht wahr?«
    Â»Nina, ist Ihnen nichts aufgefallen, als sie seine medizinischen Unterlagen gesichtet haben?«
    Â»Ehrlich gesagt, das hab ich mir erspart.«
    Marcella malt mit dem Finger einen Kreis auf den Tisch. »Pater Szyszynski hatte chronische myeloische Leukämie.«
    Â»Gut so«, sage ich ausdruckslos. »Ich hoffe, er hat gelitten. Ich hoffe, er hat sich jedesmal die Seele aus dem Leib gekotzt, wenn er eine Chemotherapie bekommen hat.«
    Â»Er hat keine Chemo bekommen. Vor etwa sieben Jahren wurde ihm Knochenmark transplantiert. Seine Leukämie war in Remission. Er war praktisch geheilt.«
    Ich werde ein wenig frostig. »Wollen Sie mir damit sagen, daß ich mich schuldig fühlen sollte, weil ich einen Menschen getötet habe, der den Krebs besiegt hat?«
    Â»Nein. Die Sache … ist die: Es gibt bei der Behandlung von Leukämie etwas, das sich auf die DNA -Analyse auswirkt. Um die Krankheit zu heilen, braucht man neues Blut. Und das erreicht man durch eine Knochenmarktransplantation, weil im Knochenmark das Blut produziert wird. Nach ein paar Monaten ist das alte Knochenmark komplett durch das Knochenmark des Spenders ersetzt worden. Das alte Blut ist weg und mit ihm die Leukämie.« Marcella sieht mich an. »Verstehen Sie?«
    Â»Soweit ja.«
    Â»Der Körper kann das neue Blut verwerten, weil es gesund ist. Aber es ist nicht das körpereigene Blut, und auch die DNA ist nicht mehr die des ursprünglichen Blutes. Hautzellen, Speichel, Sperma – da ist die DNA noch immer die alte, aber die DNA in dem neuen Blut stammt von dem Spender.« Marcella legt ihre Hand auf meine. »Nina, die Laborergebnisse waren korrekt. Die DNA in Pater Szyszynskis Blutprobe paßte zu dem Sperma von der Unterhose ihres Sohnes. Aber die DNA in Pater Szyszynskis Blut ist nicht wirklich seine.«
    Â»Nein«, sage ich. »Nein, das kann nicht sein. Genau das hab ich neulich noch Caleb erklärt. Die DNA kann man aus jeder Zelle des Körpers gewinnen. Deshalb werden ja auch Blutproben genommen, um sie mit einer Spermaprobe abzugleichen.«
    Â»In weit über neunundneunzig Komma neun Prozent der Fälle ist das richtig, ja. Aber das hier ist eine extrem seltene Ausnahme.« Sie schüttelt den Kopf. »Es tut mir leid, Nina.«
    Mein Kopf schnellt hoch. »Sie meinen … er ist noch am Leben?«
    Sie kann sich die Antwort sparen.
    Ich habe den Falschen getötet.

    Nachdem Marcella fort ist, laufe ich verstört hin und her. Ich zittere, und mir wird und wird nicht warm. Was habe ich getan? Ich habe einen Unschuldigen getötet. Einen Priester. Einen Menschen, der zu mir kam, um mich zu trösten, als meine Welt zusammenbrach; der Kinder liebte, Nathaniel eingeschlossen. Ich habe einen Mann getötet, der den Krebs besiegte, der ein langes Leben verdient gehabt hätte. Ich habe einen Mord begangen und kann diese Tat nicht einmal mehr vor mir selbst rechtfertigen.
    Ich habe immer geglaubt, daß es für die schlimmsten Übeltäter in der Hölle einen Platz gibt – für die Serienkiller, die Kindervergewaltiger, die brutalen Raubmörder.

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