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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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hastig nach unten gefolgt war. Daß er Nathaniel eingeholt und ihm eine Hand auf die Schulter gelegt hatte, so selbstverständlich wie jemand, der das nicht zum ersten Mal tut.
    Nathaniel hat seinen Namen gesagt.
    Eine Erinnerung ist plötzlich wieder da und brennt mir in den Augen: Sprich mir nach: Wand.
    Land.
    Sag mal: lustig.
    Wustig.
    Ich erinnere mich an den Priester bei Pater Szyszynskis Trauergottesdienst. Er starrte mich durch meinen Schleier hindurch an, als er mir die Hostie reichte, als käme ihm mein Gesicht bekannt vor. Und ich erinnere mich, was auf dem Spruchband gestanden hatte, an dem Tag, bevor Nathaniel aufhörte zu sprechen: FRIEDE SEI MIT DIR, PATER O’TOOLE. FRIEDE SEI MIT DIR, PATER GWYNNE .
    Was genau hat er dir gesagt, hatte ich Patrick gefragt.
    Vater Glen .
    Vielleicht hatte Patrick das gehört. Aber so hätte Nathaniel das nicht gesagt.

    Â»Er hat nicht Vater Glen gesagt«, flüstert Nina. »Er hat Vater Gwynne gesagt.«
    Â»Ja, aber du weißt doch, wie Nathaniel spricht. Das L kriegt er nie richtig hin.«
    Â»In dem Fall wohl«, seufzt Nina. »In dem Fall hat er es richtig ausgesprochen. Gwen. Gwynne. Das klingt ganz ähnlich.«
    Â»Wer zum Teufel ist Gwynne?«
    Nina steht auf, fährt sich mit beiden Händen durchs Haar. »Er ist der Täter, Patrick. Er hat Nathaniel mißbraucht, und er könnte es noch zahllosen anderen Jungen antun, und –« Sie sinkt in sich zusammen, fällt gegen die Wand. Patrick hält sie mit einer Hand fest und erschrickt, als er merkt, wie heftig sie zittert. Sein erster Impuls ist der, sie in die Arme zu schließen. Seine zweite, klügere Reaktion ist die, sie einen Schritt von ihm weg machen zu lassen.
    Sie rutscht an der Seitenwand des Kühlschranks nach unten, bis sie auf dem Boden sitzt. »Das ist der Knochenmarkspender. Er muß es sein.«
    Â»Weiß Fisher schon davon?« Sie schüttelt den Kopf. »Caleb?«
    In diesem Moment fällt Patrick eine Geschichte ein, die er vor langer Zeit in der Schule gelesen hatte, über den Anfang des Trojanischen Krieges. Paris hatte sich entscheiden können, ob er der reichste Mann der Welt werden wollte, der klügste Mann der Welt oder ob er die Frau eines anderen Mannes lieben wollte. Und Patrick, töricht wie er ist, hatte den gleichen Fehler begangen. Denn obwohl ihr Haar völlig zerzaust ist, ihre Augen rot und verquollen, die Trauer ihr ins Gesicht geschrieben steht, ist Nina für ihn genauso schön, wie Helena es damals für Paris war.
    Sie blickt zu ihm auf. »Patrick … was soll ich nur tun?«
    Die Frage schockiert ihn. »Du«, sagt Patrick klar und deutlich, »wirst gar nichts tun. Du bleibst hier in diesem Haus, weil dir wegen Mordes der Prozeß gemacht wird.« Als sie den Mund öffnet, um zu widersprechen, hebt Patrick die Hand. »Du bist schon einmal eingesperrt worden, und du weißt, was das für Auswirkungen auf Nathaniel gehabt hat. Nina, was glaubst du denn, was mit ihm passiert, wenn du losziehst, um noch einmal Selbstjustiz zu üben? Du kannst ihn nur schützen, indem du hier bei ihm bleibst. Ich …« Er stockt, weiß, daß er jetzt am Rande des Abgrunds steht und sich nur zurückziehen kann … oder springen. »Ich werde mich drum kümmern.«
    Sie weiß genau, was er da gerade versprochen hat. Daß er gegen die Regeln seines Departments, gegen seinen persönlichen Moralkodex verstoßen will. Daß er dem System den Rücken kehren wird, genau wie Nina es getan hat. Und daß er bereit ist, die Konsequenzen zu tragen. Wie Nina. Er sieht das Erstaunen in ihrem Gesicht und das Glimmen, das ihm verrät, wie verlockend es für sie ist, sein Angebot anzunehmen. »Du könntest deinen Job verlieren! Im Gefängnis landen!« sagt sie. »Ich kann nicht zulassen, daß du so was Dummes tust.«
    Wie kommst du darauf, daß ich das nicht schon längst getan habe? Patrick spricht die Frage nicht aus, aber das muß er auch nicht. Er geht in die Hocke und legt seine Hand auf Ninas Knie. Ihre Hand bedeckt seine. Und er sieht es in ihren Augen: Sie weiß , was er für sie empfindet, sie hat es immer gewußt. Aber jetzt ist sie zum ersten Mal kurz davor, es sich einzugestehen.
    Â»Patrick«, sagt sie leise, »ich habe schon genug Menschen, die ich liebe, das Leben zerstört. Ich denke, das reicht.«
    Als die Tür

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