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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Ein Gefängnis ist und bleibt ein Gefängnis, wie groß und bequem es auch immer sein mag. Ich ertappe mich dabei, wie ich zum Fenster hinausstarre und mich danach sehne, irgendeine kleine Besorgung machen zu dürfen. Zur Bank zu fahren oder den Wagen zum Ölwechsel in die Werkstatt zu bringen.
    Nathaniel geht wieder in die Vorschule. Auf Empfehlung von Dr. Robichaud, weil es ein Schritt in Richtung Normalität ist. Trotzdem frage ich mich, ob nicht auch Caleb ein kleines bißchen dahintersteckt, ob ihm vielleicht der Gedanke nicht behagt, mich mit meinem Sohn allein zu lassen.
    Neulich bin ich morgens, ohne zu überlegen, die Einfahrt hinuntergegangen, um die Zeitung zu holen. Plötzlich fiel mir das elektronische Armband ein. Als Caleb rauskam, saß ich heulend auf der Veranda und wartete auf die Polizeisirenen. Aber es wurde kein Alarm ausgelöst. Wahrscheinlich hatte ich die Fünfzigmetergrenze nicht überschritten. So war ich in den Genuß eines kleinen Spaziergangs in frischer Luft gekommen, und keiner hatte was gemerkt.
    Um mich zu beschäftigen, koche ich manchmal. Ich habe penne alla regata gemacht, coq au vin , chinesische Teigtaschen. Heute mache ich Hausputz. Ich habe schon den Dielenschrank und die Vorratskammer aufgeräumt, alles so geordnet, daß die am häufigsten benutzten Dinge leicht zu greifen sind. Oben im Schlafzimmer habe ich Schuhe aussortiert, die ich längst vergessen hatte, und ich habe meine Kleidung nach Farben aufgehängt, von Blaßrosa über Dunkelblau bis Braun.
    Gerade miste ich Calebs Kommode aus, als er hereinkommt und sich ein schmutziges Hemd auszieht. »Wußtest du«, sage ich, »daß im Dielenschrank ein nagelneues Paar Fußballschuhe steht, das für Nathaniel ungefähr fünf Größen zu groß ist?«
    Â»Die hab ich günstig bekommen. Er wird schon reinwachsen.«
    Begreift er denn nach allem, was passiert ist, noch immer nicht, daß die Zukunft nicht zwangsläufig in einer geraden, ununterbrochenen Linie verläuft?
    Â»Was machst du da?«
    Â»Ich räume deine Schubladen auf.«
    Â»Ich mag meine Schubladen so, wie sie sind.« Caleb nimmt ein zerrissenes Hemd, das ich ausrangiert habe, und stopft es völlig zerknittert wieder zurück. »Leg dich ein bißchen hin. Oder lies etwas oder so.«
    Â»Das wäre Zeitverschwendung.« Ich entdecke drei einzelne Socken.
    Â»Wieso ist es Zeitverschwendung, wenn man sich mal Zeit nimmt?« fragt Caleb und zieht sich ein frisches Hemd über. Er schnappt sich die Socken, die ich gerade ausgemustert habe, und legt sie wieder in seine Schublade.
    Â»Caleb. Du ruinierst alles.«
    Â»Wieso? Es war doch alles prima, so wie’s war!« Er stopft sich das Hemd in die Hose, schnallt den Gürtel wieder zu. »Ich mag meine Socken so, wie sie sind«, sagt Caleb nachdrücklich. Einen Moment lang scheint er noch etwas hinzufügen zu wollen, doch dann schüttelt er den Kopf und läuft die Treppe hinunter. Kurz darauf sehe ich durchs Fenster, wie er in der klaren, hellen Sonne davongeht.
    Ich ziehe die Schublade auf und hole die verwaisten Einzelsocken heraus. Dann das zerrissene Hemd. Es wird Wochen dauern, bis er die Veränderungen überhaupt bemerkt, und dann wird er mir dafür danken.

    Â»Ach du meine Güte«, rufe ich, als ich beim Blick aus dem Fenster den fremden Wagen sehe, der vor unserem Haus hält. Eine Frau steigt aus – auffällig klein, mit dichtem, dunklem Haar, die Arme gegen die Kälte fest um den Körper geschlungen.
    Â»Was ist?« Caleb hat mich gehört und kommt angelaufen. »Ist was passiert?«
    Â»Nein, nein. Alles in Ordnung!« Ich reiße die Tür auf und lächle Marcella herzlich an. »Das gibt’s doch gar nicht, Sie hier?«
    Â»Ãœberraschung«, sagt sie und umarmt mich. »Wie geht es Ihnen?« Sie versucht, sich nichts anmerken zu lassen, aber ich sehe, wie ihre Augen nach unten huschen, zu meinem elektronischen Armband.
    Â»Mir geht’s … na ja, im Augenblick jedenfalls prima. Ich hab, ehrlich gesagt, nicht damit gerechnet, daß Sie mir den Bericht höchstpersönlich bringen.«
    Marcella zuckt die Achseln. »Ich hab mir gedacht, ein bißchen Gesellschaft könnte Ihnen guttun. Und ich war schon so lange nicht mehr zu Hause. Ich hatte Heimweh.«
    Â»Lügnerin«, lache ich und ziehe sie ins Haus, wo Caleb und Nathaniel

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