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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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ich bitte Sie. ›Ist Ihnen klar, welche Funktion der Richter in einem Gerichtsverfahren ausübt?‹ Herrje.«
    Ein leises Lächeln spielt um Fishers Mund. »Wie dem auch sei, er ist zu dem Schluß gekommen, daß Sie zum Zeitpunkt der Tat psychisch und geistig gesund waren.«
    Ich bleibe stehen. Was nun? Ist es verrückt, die Arbeit zu Ende zu bringen, wenn man festgestellt hat, daß man beim ersten Mal gescheitert ist? Oder wäre das die normalste Reaktion, die man zeigen kann?
    Â»Keine Sorge. Ich denke, diesen Burschen können wir uns vorknöpfen und seinen Bericht in der Luft zerreißen – aber ich hätte auch gern einen forensischen Psychiater, der feststellt, daß sie damals unzurechnungsfähig waren und es jetzt nicht mehr sind. Ich möchte vermeiden, daß die Geschworenen zu dem Schluß kommen, Sie wären immer noch eine Gefahr.«
    Aber das bin ich. Ich stelle mir vor, wie ich Pater Gwynne erschieße, es diesmal richtig mache. Dann drehe ich mich zu Fisher um, mit völlig ausdruckslosem Gesicht. »An wen dachten Sie?«
    Â»Was halten Sie von Sidwell Mackay?«
    Â»Ãœber den machen wir in der Staatsanwaltschaft immer Witze«, sage ich. »Jeder Ankläger kann den innerhalb von fünf Minuten auseinandernehmen.«
    Â»Peter Casanoff?«
    Ich schüttele den Kopf. »Aufgeblasener Wichtigtuer.«
    Gemeinsam drehen wir uns mit dem Rücken in den Wind und denken weiter darüber nach, wen wir engagieren könnten, damit er mich für unzurechnungsfähig erklärt. Und vielleicht wird das ja auch gar nichts so schwer werden. Welche geistig gesunde Frau sieht denn schon jedesmal, wenn sie nach unten blickt, das Blut eines Unschuldigen an ihren Händen und malt sich trotzdem unter der Dusche eine Stunde lang aus, wie sie den Richtigen töten kann?
    Â»Na schön«, sagt Fisher. »Wie wär’s mit O’Brien aus Portland?«
    Â»Den hab ich auch schon ein paarmal verpflichtet. Scheint ganz in Ordnung zu sein, schwafelt vielleicht ein bißchen viel.«
    Fisher nickt. »Der wirkt schön akademisch, und ich glaube, das ist genau das richtige für Sie, Nina.«
    Ich lächle ihn möglichst zufrieden an. »Tja, Fisher. Sie sind der Boß!«
    Er wirft mir einen argwöhnischen Blick zu, dann reicht er mir den Bericht des Psychiaters. »Sie sollten sich einprägen, was sie ihm erzählt haben, ehe Sie zu O’Brien gehen.«
    Aha, also fordern Verteidiger ihre Mandanten doch auf, alles auswendig zu lernen, was sie dem psychologischen Sachverständigen der Gegenseite erzählt haben.
    Â»Wir kriegen übrigens Richter Neal.«
    Ich verziehe das Gesicht. »O nein, das darf doch nicht wahr sein.«
    Â»Wieso?«
    Â»Der soll furchtbar leichtgläubig sein.«
    Â»Das kann doch für Sie als Angeklagte nur von Vorteil sein«, stellt Fisher trocken fest. »Apropos … ich glaube, wir sollten Sie nicht als Zeugin aufrufen.«
    Â»Das hatte ich auch nicht erwartet, bei zwei Psychiatern, die vorher ihre Aussage machen.« Doch in Wahrheit denke ich: Ich kann jetzt nicht in den Zeugenstand treten, nicht, wo ich weiß, was ich weiß.
    Fisher bleibt stehen und sieht mich an. »Nina, bevor Sie anfangen, mir zu erzählen, wie Ihre Verteidigung Ihrer Meinung nach aussehen sollte, möchte ich Sie daran erinnern, daß Sie die Dinge noch immer aus der Perspektive einer Staatsanwältin betrachten, und ich –«
    Â»Verzeihen Sie«, unterbreche ich ihn und blicke auf die Uhr. »Darüber kann ich heute wirklich nicht reden.«
    Â»Wichtigere Termine?«
    Â»Tut mir leid. Es geht einfach nicht.« Meine Augen weichen seinem Blick aus.
    Â»Sie können das nicht bis in alle Ewigkeit aufschieben. Der Prozeß beginnt im Januar, und über Weihnachten bin ich mit meiner Familie verreist.«
    Â»Zuerst muß mich unser Sachverständiger begutachten«, schlage ich vor. »Und dann können wir uns zusammensetzen.«
    Fisher nickt. Ich denke an O’Brien, ob ich ihn von meiner Unzurechnungsfähigkeit überzeugen kann. Und ich frage mich, ob ich mich zu dem Zeitpunkt überhaupt noch verstellen muß.

    Zum ersten Mal seit zehn Jahren macht Quentin richtig lange Mittagspause. Im Büro wird das niemanden stören, die können seine Anwesenheit kaum ertragen, und in seiner Abwesenheit tanzen sie vermutlich auf den Tischen. Er wirft noch

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