Die Macht des Zweifels
»Angesichts ihrer langjährigen Tätigkeit als Staatsanwältin erteile ich ihr zusätzlich die Auflage, bis zum vollständigen Abschluà dieses Verfahrens mit niemandem zu sprechen, der zur Zeit in der Bezirksstaatsanwaltschaft York arbeitet und ihr Informationen über ihren Fall liefern könnte.«
»Selbstverständlich, Euer Ehren«, sagt Fisher.
Quentin Brown meldet sich erneut zu Wort. »Und wir beantragen als zusätzliche Auflage ein psychiatrisches Gutachten.«
»In Ordnung«, erwidert Fisher. »Wir haben ohnehin vor, ein Gutachten erstellen zu lassen, von einem privaten Psychiater.«
»Ist es für die Anklage von Belang, ob das Gutachten von einem privaten oder einem staatlichen Psychiater erstellt wird?« fragt der Richter.
»Wir verlangen einen staatlichen Gutachter.«
»Gut. Dann mache ich auch das zur Auflage für die Haftentlassung auf Kaution.« Der Richter notiert sich etwas. »Aber ich glaube nicht, daà 50 000 Dollar erforderlich sind, damit diese Frau im Staat Maine bleibt. Ich setze die Kaution auf 10 000 Dollar fest.«
Danach geht alles blitzschnell: Hände an meinen Armen schieben mich in Richtung Verwahrzelle. Fishers Gesicht vor mir, das mir sagt, daà er Caleb wegen der Kaution anrufen wird. Reporter, die aus dem Saal stieben, um ihre Redaktionen anzurufen. Ich bleibe in Gesellschaft eines dürren Hilfssheriffs zurück. Er schlieÃt mich in die Zelle und vergräbt sein Gesicht dann in einer Sportzeitschrift.
Ich komme raus. Ich komme wieder nach Hause, kann mit Nathaniel zu Mittag essen, genau wie ich es Fisher Carrington gesagt habe.
Ich ziehe die Knie an die Brust und beginne zu weinen. Und gebe mich dem Glauben hin, daà ich vielleicht ja doch ungeschoren davonkomme.
An dem Tag, als es passiert ist, hatten sie über die Arche gesprochen. Das war ein riesengroÃes Boot, hat Mrs. Fiore Nathaniel und den anderen erzählt. So groÃ, daà sie alle reingepaÃt hätten, ihre Eltern und ihre Haustiere. Sie hatte an alle Buntstifte und Zeichenblöcke verteilt, und dann sollten sie ihr Lieblingstier malen. »Und die Bilder«, hatte sie gesagt, »die zeigen wir dann alle Pater Glen, bevor er seine Geschichte erzählt.«
Nathaniel saà an dem Tag neben Amelia Underwood, die immer nach Spaghettisauce roch und nach dem Zeug, das im Badewannenabfluà hängenbleibt. »Waren auch Elefanten auf dem Boot?« fragte sie, und Mrs. Fiore nickte. »Alle Tiere.«
»Kaninchen?«
»Ja.«
»Narwale?« Das kam von Oren Whitford, der schon richtig lesen konnte.
»Ja.«
»Kakerlaken?«
»Leider ja«, sagte Mrs. Fiore.
Phil Filbert hob die Hand. »Auch die heilige Gei�«
Mrs. Fiore zog die Stirn kraus. »Du meinst den Heiligen Geist, Philip, und das ist etwas völlig anderes.« Aber dann überlegte sie kurz und sagte: »Der wird wohl auch dabeigewesen sein.«
Nathaniel hob die Hand. Die Lehrerin lächelte ihn an. »Und an welches Tier denkst du?«
Aber er dachte an gar kein Tier. »Ich muà mal«, sagte er, und alle anderen Kinder lachten. Sein Gesicht wurde ganz warm, und er flitzte zur Tür hinaus. Nathaniel trödelte auf der Toilette herum, drückte immer wieder auf die Spülung, weil er das Geräusch mochte. Dann wusch er sich die Hände mit so viel Seife, daà im Waschbecken ein richtiger Schaumberg wuchs.
Er hatte es nicht eilig, zurück in die Sonntagsschule zu kommen. Erstens würden die ihn sowieso nur wieder auslachen, und zweitens stank Amelia Underwood an diesem Tag besonders schlimm. Also ging er etwas weiter den Gang hinunter bis zu Vater Glens Büro. Die Tür war sonst immer abgeschlossen, aber heute stand sie einen kleinen Spalt offen, gerade breit genug, daà jemand wie Nathaniel hindurchschlüpfen konnte. Ohne zu zögern, schlich er sich hinein.
Das Zimmer roch nach Zitrone, genau wie der Hauptraum der Kirche. Nathaniels Mutter hatte gesagt, das käme daher, weil so viele Ladys freiwillig die Holzbänke polierten, bis sie schön glänzten, und er dachte sich, daà sie wohl auch hier im Büro das Holz polierten. Aber es gab gar keine Kirchenbänke, bloà ganz viele Bücherregale. Auf den Buchrücken waren so viele Buchstaben zusammengequetscht, daà Nathaniel richtig schwindelig wurde. Statt dessen sah er sich lieber ein Bild an, das an der Wand
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