Die Macht des Zweifels
Telefonleitungen. Wenn ich mich weiter als fünfzig Meter von meinem Haus entferne, löst das Armband Alarm aus. Ich muà jederzeit darauf gefaÃt sein, daà mich ein Officer besucht und von mir eine Blut- oder Urinprobe verlangt, denn ich darf weder Drogen nehmen noch Alkohol trinken. Ich entscheide mich dafür, die Gefängniskleidung für die Fahrt nach Hause anzulassen, und bitte den Hilfssheriff, dafür zu sorgen, daà Adrienne meine alte Kleidung erhält. Die Sachen sind ihr bestimmt alle zu kurz und zu eng â also wie für sie gemacht.
»Sie haben neun Leben«, murmelt Fisher, als wir aus dem Büro kommen, wo mein elektronisches Armband programmiert worden ist.
»Sieben sind noch übrig«, seufze ich.
»Wollen wir hoffen, daà wir nicht alle brauchen.«
»Fisher.« Ich bleibe vor der Treppe stehen. »Ich wollte Ihnen noch sagen ⦠Ich hätte es nicht besser machen können.«
Er lacht. »Nina, ich glaube wirklich, Sie würden ersticken, wenn man Sie zwingen würde, das Wort danke auszusprechen.«
Seite an Seite gehen wir die Treppe hinauf zur Eingangshalle. Fisher, ganz Gentleman, öffnet die schwere Feuertür des Treppenhauses und hält sie für mich auf, während ich in die Halle trete.
Das jähe, gleiÃende Blitzlichtgewitter blendet mich, und ich brauche einen Moment, bis ich wieder etwas erkennen kann. Dann sehe ich, daà zwischen den Reportern Patrick und Caleb und Monica warten. Und dann schiebt sich hinter seinem Vater Nathaniel vor, mein Sohn.
Sie trägt einen komischen orangenen Schlafanzug, und ihr Haar sieht aus wie das Schwalbennest, das Nathaniel mal hinter den Limoflaschen in der Garage entdeckt hat, aber ihr Gesicht ist das seiner Mutter, und auch ihre Stimme, als sie seinen Namen ruft, ist die seiner Mutter. Mommy . Nathaniels Arme fliegen hoch. Er stolpert über ein Kabel und über irgendwelche FüÃe, und dann läuft er.
Sie fällt auf die Knie, und das zieht ihn nur noch stärker zu ihr. Nathaniel ist so nah, daà er sie weinen sieht, aber nicht sehr klar, weil er nämlich auch weint. Er spürt, daà das Schweigen sich löst, das seit einer Woche in seinem Bauch gesteckt hat, und in dem Moment, bevor er in ihre Arme fällt, sprudelt die Freude aus ihm heraus. »Mommy, Mommy, Mommy!« ruft Nathaniel so laut, daà er nichts anderes mehr hört, bis auf das Herzklopfen seiner Mutter an seinem Ohr.
Er ist während dieser Woche gewachsen. Ich hebe Nathaniel hoch, lächle, während die Kameras jede Bewegung einfangen. Fisher hat die Reporter weggedrängt und redet heftig auf sie ein. Ich vergrabe das Gesicht an Nathaniels süÃem Hals und vergleiche meine Erinnerung mit der Wirklichkeit.
Plötzlich steht Caleb neben uns. Sein Gesicht ist so unergründlich wie beim letzten Mal, als wir allein waren, im Gefängnis, nur durch eine Plexiglasscheibe getrennt. Seine Aussage hat mir zwar geholfen, aber ich kenne meinen Mann. Er hat getan, was von ihm erwartet wurde; er hätte es sich jedoch liebend gern erspart. »Caleb«, setze ich unsicher an. »Ich ⦠ich weià nicht, was ich sagen soll.«
Zu meiner Ãberraschung macht er mir ein Friedensangebot: ein schiefes Grinsen. »Das wäre aber das erste Mal. Kein Wunder, daà die Reporter verrückt spielen.« Calebs Lächeln wird sicherer, und gleichzeitig legt er seinen Arm um meine Schultern, führt mich einen Schritt näher auf mein Zuhause zu.
Das sind die Witze, die ich kenne.
Was essen Kraken am liebsten?
Krakauer.
Was bekommt man, wenn zwei TausendfüÃler sich umarmen?
Einen ReiÃverschluÃ.
Was bekommt man, wenn man einen Teddy in den Kühlschrank legt?
Einen Eisbär.
Warum haben Frauen rot angemalte Zehen?
Damit ihnen keiner drauf tritt.
Warum sind Fische stumm?
Weil sie immer den Kopf unter Wasser halten.
Und hier ist noch einer:
Klopf, klopf.
Wer ist da?
Sagmirdas. Sagmirdas wer?
Sagmirdas Zauberwort, Nathaniel, und dann darfst du gehen.
Als er mir den erzählt hat, hab ich nicht gelacht.
6
Als wäre nichts geschehen, geht das Leben weiter. Wir drei sitzen am Frühstückstisch wie eine ganz normale Familie. Mit den Fingern folgt Nathaniel den Buchstaben der Schlagzeile auf der ersten Zeitungsseite. »M«, sagt er leise. »O, M â¦Â« Ãber den Rand meiner Kaffeetasse betrachte ich das Foto. Da bin ich,
Weitere Kostenlose Bücher