Die Macht des Zweifels
an, und er versucht sich zu erinnern, warum ihm das so vertraut vorkommt. Und dann fällt es ihm wieder ein: Genau so hat sie vor einigen Wochen ausgesehen, als sie den stummen Nathaniel davon überzeugen wollte, daà er einfach nur irgend etwas sagen müsse, daà jedes Wort besser sei als keines. »Wir brauchen sie beide wieder bei uns«, sagt Caleb, und das ist die einzig richtige Antwort.
Während der Zeugenaussage von Dr. Robichaud wird mir klar, daà das hier der Prozeà ist, den wir gegen den Priester geführt hätten, wenn ich ihn nicht getötet hätte. Es geht vor allem um den MiÃbrauch an Nathaniel und um die Folgen. Die Psychiaterin schildert dem Gericht ihre erste Begegnung mit Nathaniel, sein für miÃbrauchte Kinder typisches Verhalten, seine Therapiesitzungen, seine Gebärdensprache. »Aber irgendwann hat Nathaniel wieder begonnen zu sprechen. Wann war das?« fragt Fisher.
»Nachdem er Detective Ducharme den Namen des Täters genannt hatte.«
»Und danach hat er, soweit Sie wissen, ganz normal gesprochen?«
Die Psychiaterin nickt. »Es ging immer besser.«
»War er in der letzten Woche bei Ihnen?«
»Ja. Freitag abend erhielt ich einen sehr aufgeregten Anruf von seinem Vater. Nathaniel hatte wieder aufgehört zu sprechen. Als er dann am Montag morgen zu mir kam, war seine Regression offensichtlich. Er war in sich gekehrt und unkommunikativ. Ich konnte ihn nicht mal dazu bringen, mit den Händen Zeichen zu machen.«
»Sind Sie als Sachverständige der Auffassung, daà Nathaniel durch die Trennung von seiner Mutter psychischen Schaden erleidet?«
»Ohne Frage«, sagt Dr. Robichaud. »Und je länger die Trennung dauert, desto dauerhafter könnte der Schaden sein.«
Als sie den Zeugenstand verläÃt, steht Brown auf, um sein SchluÃplädoyer zu halten. Zum Auftakt zeigt er auf mich. »Diese Frau hat auf eklatante Weise gegen Regeln verstoÃen, und wie wir alle wissen, war das nicht das erste Mal. In dem Augenblick, als sie Peter Eberhardt sah, hätte sie sich umdrehen und weggehen müssen. Aber genau das hat sie nicht getan.« Er wendet sich dem Richter zu. »Euer Ehren, Sie haben zur Bedingung gemacht, daà Nina Frost keinerlei Kontakt zu den Mitarbeitern der Staatsanwaltschaft aufnehmen darf, um zu vermeiden, daà sie im Vergleich zu anderen Angeklagten bevorzugt behandelt wird. Und genau das tun Sie, wenn Sie ihren Verstoà nicht ahnden.«
So nervös ich auch bin, mir entgeht nicht, daà Brown sich soeben einen taktischen Fehler geleistet hat. Man kann Geschworenen etwas suggerieren, aber man sollte niemals einem Richter vorschreiben, war er zu tun hat.
Fisher steht auf. »Euer Ehren, was Mr. Brown in dem Supermarkt gesehen hat, war reines Wunschdenken. In Wahrheit wurden keinerlei Informationen ausgetauscht. Ja, er konnte nicht einmal nachweisen, daà auch nur der Versuch unternommen wurde, an Informationen zu gelangen.«
Er legt beide Hände auf meine Schultern. Ich habe schon gesehen, wie er das bei anderen Mandanten gemacht hat. Im Büro nannten wir das immer sein GroÃvatergehabe. »Das Ganze war ein höchst bedauerliches MiÃverständnis«, fährt Fisher fort, »aber mehr nicht. Und wenn Sie Nina Frost aufgrund dessen weiterhin von ihrem Kind fernhalten, so wird dem Kind damit vielleicht irreparabler Schaden zugefügt. Und nach dem, was geschehen ist, dürfte das wohl nicht im Interesse dieses Gerichts liegen.«
Der Richter hebt den Kopf und sieht mich an. »Ich werde sie nicht von ihrem Sohn fernhalten«, entscheidet er. »Aber ich werde ihr auch keine Gelegenheit geben, erneut die von diesem Gericht festgelegten Kautionsauflagen zu miÃachten. Ich ordne die Haftentlassung von Mrs. Frost an, stelle sie aber unter Hausarrest. Sie wird ein elektronisches Armband mit Sender tragen und sämtliche Regeln beachten, die für die elektronische Ãberwachung gelten. Mrs. Frost.« Er sieht mich an, und ich nicke. »Sie werden Ihr Haus nicht verlassen auÃer, um sich mit Ihrem Anwalt zu treffen oder vor Gericht zu erscheinen. Für diese Ausnahmen und nur dafür wird das elektronische Armband entsprechend programmiert. Und wenn es sein muÃ, werde ich persönlich vor Ihrem Haus patrouillieren, damit Sie sich auch an die Bedingungen halten.«
Meine neue dezente Handschelle funktioniert über die
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