Die Macht des Zweifels
heute hier sein, denn er wurde vorgeladen. In seinem einzigen Jackett mit der alten Krawatte steht er in der Cafeteria des Gerichts, in der Hand eine Tasse Kaffee, die so heià ist, daà er sie kaum halten kann, und versucht, so gut es geht, sein nervöses Zittern unter Kontrolle zu bringen.
Fisher Carrington ist gar kein so übler Bursche, denkt er. Zumindest ist er nicht annähernd so schlimm, wie Nina ihn dargestellt hat. »Ganz ruhig, Caleb«, sagt der Anwalt. »Sie sind hier schneller wieder raus, als Sie denken.« Sie gehen zum Ausgang. Das Gericht tagt in fünf Minuten. Vielleicht bringen sie in diesem Augenblick bereits Nina herein.
»Sie müssen lediglich die Fragen beantworten, die wir bereits durchgesprochen haben, und dann wird Mr. Brown Ihnen noch ein paar Fragen stellen. Kein Mensch erwartet von Ihnen, daà Sie etwas anderes sagen als die Wahrheit. Okay?«
Caleb nickt, versucht, einen Schluck von seinem glühendheiÃen Kaffee zu nehmen. Er mag gar keinen Kaffee. Er fragt sich, was Nathaniel wohl unten im Spielzimmer mit Monica macht. Er versucht, sich abzulenken, indem er an ein kompliziertes Muster denkt, das er für die Terrasse eines ehemaligen Versicherungsbosses entworfen hat. Aber die Wirklichkeit lauert wie ein Tiger in seinem Hinterkopf. In wenigen Minuten wird er als Zeuge aussagen. In wenigen Minuten werden Dutzende Reporter und Neugierige und ein Richter den Worten eines Mannes lauschen, dem Schweigen viel lieber ist. »Fisher«, setzt er an, atmet dann tief durch. »Die dürfen mich doch nicht fragen, was sie, na ja, was sie mir ⦠erzählt hat, oder?«
»Was Nina Ihnen erzählt hat?«
»Was sie ⦠was sie getan hat.«
Fisher starrt Caleb an. »Sie hat mit Ihnen darüber gesprochen?«
»Ja. Bevor sie â«
»Caleb«, unterbricht ihn der Anwalt ruhig, »erzählen Sie es mir nicht, und ich sorge dafür, daà Sie es niemand anderem erzählen müssen.«
Er verschwindet durch die Tür, noch ehe Caleb seine Erleichterung richtig spüren kann.
Als Peter für Quentin Brown in den Zeugenstand tritt, wirft er mir einen zerknirschten Blick zu. Er kann nicht lügen, aber er will mich auch nicht durch seine Aussage ins Gefängnis bringen. Um es ihm leichter zu machen, bemühe ich mich, ihm nicht in die Augen zu sehen. Statt dessen konzentriere ich mich auf Patrick, der irgendwo hinter mir sitzt, so nahe, daà ich die Seife riechen kann, die er benutzt. Und auf Brown, der mir viel zu groà für diesen kleinen Gerichtssaal erscheint.
Fisher legt seine Hand auf mein Bein, das nervös gewippt hat, ohne daà ich es bemerkt habe. »Aufhören«, raunt er.
»Haben Sie Nina Frost an dem Nachmittag gesehen?« fragt Quentin Brown.
»Nein«, sagt Peter. »Ich habe sie nicht gesehen.«
Brown zieht ungläubig die Stirn kraus. »Sind Sie auf sie zugegangen?«
»Na ja, ich bin den Gang hinuntergegangen, und da stand zufällig ihr Einkaufswagen. Ihr Sohn saà drin. Auf ihn bin ich zugegangen.«
»Hat sich auch Mrs. Frost dem Einkaufswagen genähert?«
»Ja, aber sie wollte nur zu ihrem Sohn. Nicht zu mir.«
»Bitte beantworten Sie nur meine Fragen.«
»Hören Sie, sie stand neben mir, aber sie hat nicht mit mir gesprochen«, sagt Peter.
»Haben Sie mit ihr gesprochen, Mr. Eberhardt?«
»Nein.« Peter sieht den Richter an. »Ich habe mit Nathaniel gesprochen.«
Quentin Brown klopft auf einen Papierstapel auf dem Tisch der Anklagevertretung. »Haben Sie Zugang zu diesen Akten?«
»Wie Sie wissen, Mr. Brown, bin ich nicht für Mrs. Frosts Fall zuständig. Sondern Sie.«
»Aber ich arbeite in Mrs. Frosts ehemaligem Büro, das direkt neben Ihrem liegt, ist das richtig?«
»Ja.«
»Und die Türen sind nicht abschlieÃbar, ist das richtig?«
»Ja.«
»Dann denken Sie wirklich, daà sie Sie aus völlig harmlosen Gründen angesprochen hat?«
Peter kneift die Augen zusammen. »Sie wollte nicht in Schwierigkeiten geraten, genausowenig wie ich.«
»Und jetzt möchten Sie ihr aus diesen Schwierigkeiten gern wieder herauszuhelfen, ist das richtig?«
Bevor Peter antworten kann, überläÃt Brown seinen Zeugen der Verteidigung. Fisher steht auf, knöpft sein Jackett zu. Ich spüre, wie mir entlang der Wirbelsäule Schweià ausbricht.
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