Die Macht
setzte ihm nicht gern die Pistole auf die Brust – doch in diesem Fall ging es nicht anders. Sie würde es nicht ertragen, jedes Mal, wenn sich ihr Mann verspätete, Angst haben zu müssen, dass ihm etwas Schreckliches zugestoßen war.
Während sie sich fest vornahm, so bald wie möglich mit Mitch darüber zu sprechen, hörte sie plötzlich ein Geräusch an der Tür. Sie sprang nicht sofort auf, um zur Tür zu laufen, sondern blieb ganz ruhig, um sich auf die bevorstehende Auseinandersetzung vorzubereiten. Als schließlich die Tür aufging, sah sie zu ihrer größten Verwirrung, wie ihr Freund mit einer äußerst attraktiven Frau am Arm ins Zimmer trat. An Mitchs Gesichtsausdruck erkannte sie, dass irgendetwas nicht stimmte.
Rapp schloss die Tür, sperrte zu und ging an Anna vorbei ins Schlafzimmer. »Anna, ich brauche deine Hilfe«, sagte er und setzte Donatella aufs Bett. Dann eilte er zur Balkontür hinüber, schloss sie und zog die Vorhänge vor. Als er sich umdrehte, stand Anna mit verschränkten Armen herausfordernd vor der Tür.
Rapp ging zum Bett zurück. »Liebling, es tut mir Leid, dass ich mich verspätet habe, aber es ist etwas dazwischengekommen.« Er beugte sich über Donatella und öffnete ihre Augen mit zwei Fingern. Ihre Pupillen waren geweitet, und ihre Haut fühlte sich feucht und kalt an. Er fragte sie auf Italienisch, wie sie sich fühlte. Donatella antwortete, dass sie sehr müde sei.
»Was, zum Teufel, geht hier vor und vor allem – wer ist das hier?« Für Anna sah es so aus, als hätte Mitch eine betrunkene Hure mit nach Hause gebracht.
»Ich bin seine Geliebte«, platzte Donatella auf Englisch heraus, bevor Rapp etwas sagen konnte.
»Was?«, stieß Anna hervor.
Rapp verzog das Gesicht und ging kopfschüttelnd auf seine Freundin zu. »Es ist überhaupt nicht so, wie du denkst.«
Anna fiel vor allem auf, dass er die Behauptung der Frau weder bestätigte noch abstritt. »Wie gut kennst du diese Frau?«
Er hob beschwichtigend beide Hände. »Sehr gut, Anna, aber darum geht es jetzt nicht.«
»Sehr gut«, stieß Anna empört hervor. »Was, zum Teufel, soll das heißen – sehr gut? «
Es war erneut Donatella, die mit lallender Stimme auf ihre Frage antwortete. »Wir hatten jahrelang wilden, leidenschaftlichen Sex.«
Rapp zuckte zusammen und wedelte beschwichtigend mit den Händen. »Hör nicht auf sie.«
Annas Gesicht war vor Zorn gerötet. »Entschuldige bitte«, rief sie empört, »aber ich habe gedacht, dass du etwas Berufliches zu erledigen hast – und da kreuzt du irgendwann zwei Stunden zu spät auf und bringst obendrein dieses betrunkene Flittchen mit! Ich finde, du schuldest mir zuerst einmal eine Erklärung!«
Rapp fasste Anna an den Schultern. »Sprich nicht so laut.«
Sie versuchte sich loszureißen, was ihr jedoch nicht gelang. »Lass mich los!«
Rapp hielt sie fest. »Anna, sie ist nicht betrunken. Jemand hat auf sie geschossen, und jetzt ist sie auf Morphium, und wahrscheinlich steht sie unter Schock – darum würde ich dich ersuchen, dass wir später darüber reden.« Rapp wartete nicht auf eine Antwort. Er ließ Anna los und ging ins Wohnzimmer hinüber. Dort holte er ein Päckchen Kekse und eine Flasche Wasser aus der Bar und ging ins Schlafzimmer zurück. Vorsichtig setzte er Donatella gegen das Kopfteil des Bettes. »Hier«, sagte er und hielt ihr die Wasserflasche an die Lippen. »Ich weiß nicht, wie lange es dauert, bis der Arzt hier ist.« Sie trank die halbe Flasche, und Rapp reichte ihr einen Keks. Nachdem sie ihn gegessen hatte, trank sie die Wasserflasche leer. Rapp legte sie auf das Bett und schob zwei Kissen unter ihre Beine, damit sie erhöht gelagert waren. Er deckte sie zu und überprüfte noch einmal ihre Augen. »Es wird alles gut«, flüsterte er ihr zu. »Ich möchte, dass du dich ausruhst. Nicht sprechen, nur ausruhen.«
Rapp drehte sich um und sah, dass Anna wieder ihre herausfordernde Pose eingenommen hatte. Diesmal machte sie jedoch ein derart finsteres Gesicht, dass ihm klar war, dass er in der Klemme saß. Rapp nahm Anna am Arm und ging mit ihr ins Wohnzimmer. »Ich verstehe ja, dass du sauer bist, aber ich kann dir alles erklären.«
»Ach ja«, sagte sie bissig, »das wäre nett.«
»Ich habe mit dieser Frau früher zusammengearbeitet. Wir waren …«
Anna ließ ihn nicht zu Ende sprechen. »Hast du jemals mit ihr geschlafen?«
Rapp sah ihr in die Augen. Er überlegte kurz, ob er lügen sollte, doch er wusste, dass es falsch
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