Die Macht
werden. Er führte ihr vor Augen, welch himmelschreiende Ungerechtigkeiten dem jüdischen Volk im Laufe seiner Geschichte widerfahren waren. Als sich die zweimonatige entbehrungsreiche Ausbildung dem Ende zuneigte, spürte sie, dass sie stärker wurde, und mit jedem Schritt vorwärts, den sie machte, wuchs auch ihr Gefühl der Verbundenheit mit Ben Freidman. Ihre Loyalität war irgendwann so stark, dass sie sogar bereit war, für ihn zu töten – und das nicht einmal , sondern immer wieder.
Rapp küsste Anna auf die Wange und verließ das Prada-Geschäft. Sie hatte nichts dagegen, dass er ging, denn nachdem sie gesehen hatte, zu welch günstigen Preisen man hier Designermode erstehen konnte, wusste sie, dass erst einmal ausgiebiges Shoppen auf dem Programm stand. Und Mitch wäre ihr dabei eher im Weg gestanden. Sie vereinbarten, dass sie sich in ungefähr einer Stunde bei Chanel treffen würden; danach zog Mitch los, um sich, wie er sagte, nach einer Buchhandlung und einem guten Café umzusehen.
Rapp hatte kein allzu gutes Gefühl bei dem, was er gerade tat. Er belog Anna nicht gern, doch wenn es um berufliche Angelegenheiten ging, sah er keine andere Möglichkeit, als gewisse Dinge zu verschweigen. Immerhin würde er jemanden aufsuchen, der für einen ausländischen Geheimdienst arbeitete – doch dieser Jemand war außerdem eine Frau, mit der er einmal eine Liebesbeziehung gehabt hatte. Immer wieder fragte er sich, wie er es anstellen sollte, Anna von Donatella zu erzählen – doch jedes Mal, wenn er sich das Gespräch vorstellte, endete das Ganze in einer Katastrophe. Konnte es sein, dass er Anna unterschätzte? Er selbst hatte sie ja auch nie nach ihren Exfreunden gefragt, und wenn sie einmal von sich aus etwas über einen von ihnen erzählte, machte es ihm nicht wirklich etwas aus; schließlich konnte er kaum auf Männer eifersüchtig sein, die er überhaupt nicht kannte.
Während er die von Geschäften gesäumte Straße entlangging, kam Rapp zu dem Schluss, dass für Anna das Gleiche gelten müsse. Seine Beziehung zu Donatella war vor ihrer Zeit gewesen. Sie war nicht die Frau, die er heiraten wollte, und damit basta. Rapp nickte zufrieden über seine glasklare Schlussfolgerung. Bestärkt in dem Gefühl, nichts Unrechtes zu tun, ging er auf das Modehaus Armani zu. Seine Zufriedenheit schwand jedoch, als ihm schon wenige Schritte später klar wurde, dass es Probleme mit sich bringen musste, wenn man sich heimlich mit einer früheren Geliebten traf, während man sich auf einer romantischen Reise mit seiner zukünftigen Ehefrau befand. Anna würde das jedenfalls gar nicht gefallen. Er rang noch eine Weile mit sich selbst, bis er beschloss, nicht länger nach einer Lösung zu suchen, weil es auf der Hand lag, dass es keine Lösung gab. Er musste die Sache einfach durchziehen und Acht geben, dass die Vergangenheit keinerlei Einfluss auf die Zukunft nahm.
Rapp schob den Gedanken beiseite und konzentrierte sich ganz auf die Umgebung. Schließlich ging es jetzt vor allem darum, dass niemand etwas von seinem heimlichen Treffen mitbekam. Im Gehen betrachtete er prüfend die Autos, die entlang der Straße geparkt waren. Auf der anderen Straßenseite stand ein Van, auf dessen Dach jedoch keine Antennen oder Richtmikrofone montiert waren; es schien sich eindeutig um ein Privatfahrzeug zu handeln.
Rapp ging an einem Blumenladen vorbei und kam schließlich zu einem Straßencafé. Er betrat das Café, trat an die Theke und bestellte auf Italienisch einen Kaffee zum Mitnehmen, den er sofort bezahlte. Rapps Italienisch war ganz ordentlich, wenn auch nicht mit seinem Französisch oder Arabisch zu vergleichen. Mit dem heißen Kaffee ging er zu dem Blumenladen zurück. Die Verkäuferin begrüßte ihn freundlich und fragte, was sie für ihn tun könne. Rapp sagte, dass er Rosen brauchte, worauf ihm die Frau erklärte, dass die langstieligen roten Rosen gerade besonders günstig seien. Rapp überlegte kurz und fand schließlich, dass rote Rosen möglicherweise eine ungewollte Botschaft übermitteln würden, sodass er sich für gelbe Rosen entschied. Er zahlte auch hier in bar und überquerte, mit den Rosen in der einen Hand und dem Pappbecher in der anderen, die Straße.
Neben dem Schaufenster war eine Tür, über der eine Sicherheitskamera installiert war. Rapp wandte instinktiv das Gesicht von der Kamera ab und drückte auf den Klingelknopf. Im nächsten Augenblick hörte er über die Sprechanlage eine Frauenstimme, die
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