Die Macht
doch der Spaziergang in der kühlen abendlichen Luft hatte ihre Sinne geschärft. Der Mann draußen im Wagen hatte sie natürlich ebenfalls rascher nüchtern werden lassen. Rapp brauchte ihr nicht erst zu erklären, was das bedeutete. Da wollte ganz offensichtlich jemand alle möglichen Unsicherheitsfaktoren beseitigen, bis die Spur schließlich im Nirgendwo endete. Es gab noch eine andere Möglichkeit, und deshalb wollte sie Rapp nicht sagen, was er von ihr wissen wollte. Die USA waren ein Verbündeter – aber auch das hatte irgendwo seine Grenzen.
Die CIA würde auch vor einer Lüge nicht zurückschrecken, um an die gewünschten Informationen heranzukommen – und dass sie unbedingt wissen wollten, wer ihr Auftraggeber war, daran bestand wohl kein Zweifel. Der Mann unten im Wagen konnte jemand sein, der den Auftrag hatte, sie zu beseitigen – es konnte aber auch sein, dass er von der CIA war und ihr Angst einjagen wollte, damit sie Rapp sagte, was er hören wollte. Vielleicht war das der Grund, warum Rapp den Mann vor ihr gesehen hatte – weil er wusste, dass er da sein würde. Nun, es war wie immer schwer zu sagen, ob es nur ihre Paranoia war, die sie sogar an Rapp zweifeln ließ, oder ob ihre Skepsis gerechtfertigt war.
Als sie im dritten Stock ankam, beendete sie die Verbindung mit Rapp und fasste einen Entschluss. Wenn in der Wohnung jemand auf sie wartete, würde sie nicht zögern zu feuern. Sie stand einige Augenblicke in der Dunkelheit des Treppenhauses und suchte geduldig nach irgendeinem Zeichen, dass jemand auf sie wartete. Sie steckte das Handy ein und überlegte kurz, ob sie die Stiefel ausziehen sollte, damit sie völlig geräuschlos zur Wohnungstür gehen konnte. Dann wurde ihr klar, dass das sinnlos gewesen wäre; wenn tatsächlich jemand in der Wohnung war, hätte ihn der Mann unten auf der Straße ohnehin längst benachrichtigt.
Donatella zog den Mantel aus und holte ein Messer und den Schlüssel aus ihrer Handtasche. Sie warf sich den Mantel über die Schulter und ging über den Flur. Als sie zu ihrer Wohnungstür kam, blieb sie an einer Seite stehen, steckte den Schlüssel ins Schloss und drückte die Tür auf. Während die Tür aufschwang, blieb sie draußen im Schutz des massiven Türstocks stehen. Sie spähte mit einem Auge in den engen Vorraum, um zu sehen, ob irgendetwas anders war als vorher. Die drei Fotos und die Blumen auf dem Schrank waren jedenfalls unverändert.
Sie streckte die Hand aus und schaltete das Licht ein. Bevor sie eintrat, spähte sie noch kurz durch den Spalt zwischen Tür und Rahmen, um sicherzugehen, dass niemand dahinter stand. Als sie schließlich ihre Wohnung betrat, legte sie zunächst den Wohnungsschlüssel und die Handtasche auf den Schrank zu ihrer Rechten und atmete noch einmal tief durch, bevor sie zum Wohnzimmer weiterging.
Sie hatte die Pistole feuerbereit in der rechten Hand und das Messer in der linken. Obwohl sie kaum mehr als einen Meter von der Wohnzimmertür entfernt war, sah sie höchstens die Hälfte des rechteckigen Zimmers vor ihr. Alle vier Ecken waren ihr verborgen. Würde sie auf jemanden in dieser Wohnung warten, so wüsste sie ganz genau, wo sie sich postieren würde. Mit der linken Hand knipste sie den Lichtschalter an, worauf die Deckenlampe sowie zwei zusätzliche Lampen angingen.
Donatella lauschte angestrengt, um irgendein Geräusch wahrzunehmen, während sie ihre Pistole auf jenen Punkt richtete, wo sie einen möglichen Attentäter vermutete – doch es war nichts zu sehen und zu hören. Sie nahm ihren Mantel von der Schulter und warf ihn auf die Couch zu ihrer Linken. Im nächsten Augenblick stürmte sie mit einer Rolle vorwärts in den Raum und hörte auch schon das unverkennbare Geräusch einer Pistolenkugel, die aus einer schallgedämpften Pistole abgefeuert wurde. Die Kugel kam aus der Richtung, die sie vermutet hatte. In dem Moment, wo sie auf dem Fußboden aufkam, wusste sie, dass der Schütze sein Ziel verfehlt hatte. Donatella rollte sich zwischen der Couch und einem Stuhl vorwärts und sprang mit der Pistole in der Hand auf beide Knie hoch.
Noch ehe sie zum Stillstand gekommen war, hatte sie ihr Ziel auch schon erspäht und feuerte einen gezielten Schuss ab. Das Einzige, was ihr an dem Mann auffiel, war sein schwarzes Haar und seine Waffe, die er erneut auf sie richtete. Auf ein Knie gestützt, wirbelte Donatella nach rechts herum, wo sie aus dem Augenwinkel eine flüchtige Bewegung wahrnahm. Bevor sie erneut feuern
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