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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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erinnern, als er bisher erzählt hatte. Sie hörte zu und stellte Fragen, um seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, mit dem es, wie sie wusste, leider nicht immer zum Besten stand.
    Ihr Vater sprach nicht gern über diesen Giovedì grasso, und Pasquale noch weniger. Nur Vittore ließ sich hin und wieder dazu herab. Er war auch derjenige gewesen, der ihr kürzlich die Geschichte zum ersten Mal erzählt hatte. Er war so betrunken gewesen, dass er kaum ein verständliches Wort herausgebracht hatte, doch sie hatte ihm begierig zugehört.
    »Wie ging es weiter?«
    Vittore verdrehte die Augen zum Himmel und rieb sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. »Es ist heiß. Du könntest die Paneele öffnen, damit wir Luft bekommen.«
    »Erzähl erst zu Ende.«
    »Wir fanden die Frau«, leierte Vittore herunter. »Sie lag im Sterben und gab dir den Anhänger. Jetzt öffne die Paneele, Kind!«
    »Das hast du noch nie erzählt! Sie gab ihn mir? Heißt das, ich war auch dabei?« Sanchia hielt grübelnd inne. »Ich erinnere mich nicht.«
    »Du warst noch zu klein.«
    »Aber ich war dabei?«
    »Nein«, brüllte Vittore.
    Sanchia zuckte erschreckt zusammen, blieb dann jedoch mit kühn gerecktem Kinn stehen. Vittore brüllte häufig, aber er hatte noch nie die Hand gegen sie erhoben. Schläge waren in der Werkstatt und auch sonst überall im Haus gänzlich verboten.
    »Trotzdem gab sie mir den Glücksbringer?«
    »Nein, sie gab ihn deinem Vater.«
    »Sagte sie, er wäre für mich?«
    »Sie konnte nicht mehr sprechen, sie lag ja im Sterben.«
    »Warum? Was hat ihr gefehlt?«
    »Sie ist eben einfach so gestorben.«
    »Aber woran?«
    Es war das erste Mal, dass sie das wissen wollte, und sie fand sofort, dass es eine sehr gute Frage war. Meist gab es einen triftigen Grund, warum Leute starben, wenngleich sie erst vor ein paar Tagen dahintergekommen war, dass die Ursachen vielfältiger sein konnten, als sie bis dahin angenommen hatte. Normalerweise starben Leute, wenn sie zu alt oder zu krank zum Weiterleben waren. Und natürlich Frauen mitsamt ihren Säuglingen im Kindbett, das kam jeden Tag vor. Oder Menschen kamen ums Leben, weil sie von anderen getötet wurden. Aber vorgestern war Benedetta gestorben, die Tochter des Schusters. Sie war nur ein Jahr älter gewesen als Pasquale, und es hieß, sie sei an Schwermut zu Grunde gegangen.
    »Woran ist die Frau gestorben? An Schwermut? Warum wollte sie ausgerechnet mir den Anhänger geben?«
    Vittore ruckte an der Stange, mit der er den tönernen Tiegel in die Schmelzkammer des Ofens geschoben hatte, und etwas von der flüssigen Glasschmelze schwappte über. Er stieß einen Fluch aus, der Sanchia zum Erröten brachte.
    »Dafür können sie dir die Zunge herausschneiden«, gab sie zu bedenken.
    »Für andere, noch schlimmere Worte könnte ihm das Herz herausgeschnitten werden«, warf ihr Vater ein. Er stand hinter ihr und lächelte, während er ihr die Hand auf den Scheitel legte.
    Sie hatte ihn nicht kommen hören. Das Bullern der Öfen und die lärmende Geschäftigkeit, mit der die beiden Lehrjungen das überall herumliegende Bruchglas aufsammelten und Holzscheite für das Feuer herbeischleppten, ließen ohnehin nur eine schreiende Verständigung zu.
    »Für welche Worte?«, wollte sie wissen.
    »Sie sind so schlimm, dass man sie nicht aussprechen darf«, gab ihr Vater bedächtig zurück.
    Sanchia nickte, doch dann dachte sie kurz nach. »Aber was außer Flüchen und Ketzerei kann so schlimm sein, dass einem dafür die Zunge abgeschnitten wird?«
    »Verrat.«
    Vittore bekam einen Hustenanfall, und Piero befahl Sanchia, ihrer Mutter und der Hausmagd bei der Zubereitung des Essens zu helfen.
    Damit war die Unterhaltung abgeschlossen. Sanchia erkannte es an der unnachgiebigen Kerbe über seinem rechten Auge. Immer, wenn sich die Narbe dort zu einer Falte vertiefte, war er schlecht aufgelegt. In solchen Fällen war es besser, seinen Anordnungen sofort Folge zu leisten. Wie alle anderen Mitglieder des Haushalts fügte sie sich seiner Autorität ohne Widerspruch. Sie strahlte ihn an, um ihn versöhnlich zu stimmen. Immer noch auf und ab hüpfend, verließ sie die Werkstatt und ging zur Stiege, die ins Obergeschoss zu den Wohnräumen führte.
    »Ich mache keine leeren Versprechungen«, sagte Piero, als sie außer Sicht war.
    Der Grimm in seiner Stimme war nicht zu überhören, und Vittore zuckte zusammen. »Es tut mir leid! Das habe ich dir schon mehrmals gesagt. Doch ich kann nicht

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