Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
Vom Netzwerk:
Tag! Hat es vielleicht was genützt? Hat der Scheißkerl mir vielleicht angeboten, sich um mich zu kümmern? Einen Dreck hat er! Weil er nämlich nie da ist, wenn man ihn braucht! Wieso kann ich mir hier die Finger wund beten, und keiner erhört mich? Was ist los? Mache ich was falsch? Könnt Ihr mir das vielleicht mal verraten?«
    Die Frau war jung, höchstens zwanzig, und ihr Leib unter dem wollenen Umhang war von einer Schwangerschaft gerundet, noch nicht sehr stark, aber für das geübte Auge sichtbar. Ihr Haar war nur unzureichend von einem Schleier verdeckt. Es schaute in langen Locken darunter hervor und war dunkelrot wie reife Kastanien. Ihr Gesicht war verweint und aufgewühlt, doch das tat der Schönheit ihrer Züge keinen Abbruch. Sie hatte eine keck nach oben gebogene Nase und einen breiten Mund, der aussah, als sei er zum Lachen geschaffen. Ihre Augen waren leicht schräg geschnitten, wie bei einer Katze. Sie trug kostbare Kleidung von auffälliger Farbe, ein leuchtend gelbes Kleid und darüber einen Umhang aus einem dicht gewirkten, schimmernd blauen Stoff. Sanchia fragte sich, ob die Frau sich darüber klar war, dass sie im Begriff war, sich auf dem schmutzigen Kirchenfußboden ein vermutlich ziemlich teures Kleid zu ruinieren.
    Pater Alvise stand vor seinem unbotmäßigen Schäflein und rang die Hände. Auf seinem Gesicht stand ein Ausdruck reiner Verzweiflung. »Ich bitte Euch! Hier herumzuschreien ist ein Sakrileg! Ihr missachtet das Haus Gottes!«
    »Ach? Ich dachte, die Kirche ist ein Ort der Gequälten und Beladenen! Schaut mich an! Ich bin beladen, und wie!«
    Die Situation war so absurd, dass Sanchia nur mühsam ein Kichern unterdrücken konnte.
    »Es gebricht Euch an Demut«, rief Pater Alvise aus. Er machte sich nicht mehr die Mühe, seine Stimme zu dämpfen. In den vorderen Bankreihen wurde derart unbekümmert geschimpft und debattiert, dass es ohnehin heillos laut in dem Gotteshaus zuging.
    »Warum sagt Ihr das nicht dem Kerl, der mich geschwängert hat!«, schrie die Frau, um den Lärm zu übertönen.
    Endlich kamen einige Gemeindemitglieder von ihren Plätzen nach vorn. Zwei von ihnen fassten die junge Frau unter den Armen, zogen sie hoch und zerrten sie zum Hauptportal.
    Nach einigen Augenblicken lähmender Starre fing sich Pater Alvise wieder, breitete die Hände aus und fuhr mit seinem Gebet fort, als sei nichts geschehen. Nur seine Stimme, auch sonst schon so zittrig, dass er die hohen Tonlagen des Messgesangs kaum halten konnte, schwankte nach dem Aufruhr der letzten Minuten so sehr, dass es klang wie das Heulen eines misshandelten alten Hundes.
    Sanchia hielt es nicht lange aus. Nach einer Weile schlüpfte sie durch den Ausgang der Empore und eilte nach draußen.
    Als sie über den Klosterhof zum Scriptorium ging, wurde sie von weitem angerufen. Jacopo Sagredo kam eilig auf sie zugelaufen, das Wams vorn offen, die Hemdschnüre herabhängend. Von seiner üblichen heiteren Gelassenheit war nichts zu spüren, er wirkte völlig aufgelöst.
    »Gott sei Dank, Ihr seid hier! Kommt mit, ja?«
    Beunruhigt folgte sie ihm in das Haus der Äbtissin. Nach dem Abriss des Palazzo vor drei Jahren war es neu errichtet worden, wesentlich schlichter und kleiner, aber auch solider als der verfallene Prachtbau, in dem Suora Albiera logiert hatte.
    Der Obsthändler eilte mit klappernden Zòccoli über die hölzerne Stiege ins Obergeschoss und stieß die Tür zu Annunziatas Schlafkammer auf. Sanchia, die ihm auf dem Fuß gefolgt war, erschrak beim Anblick der Äbtissin, die reglos im Bett lag. Ihr Gesicht war von Schweiß überzogen und so weiß wie Kreide.
    »Was fehlt Euch?«
    Annunziata stöhnte und schüttelte den Kopf.
    »Sie blutet«, sagte Sagredo mit feuerroten Wangen. »Aber es ist nicht einfach … ein Frauenbluten, sondern viel stärker. Sie hat Schmerzen und kann nicht aufstehen. Ich habe sie so hier gefunden. Sie wollte, dass ich verschwinde, aber wie kann ich das, wenn es ihr so schlecht geht?«
    Sanchia trat ans Bett. Aus dem Medizinbeutel, den sie immer an der Hüfte trug, holte sie den kleinen Essigkrug und entkorkte ihn. Nachdem sie sich sorgfältig die Hände gereinigt hatte, wandte sie sich an die Kranke. »Ich möchte Euch untersuchen. Dazu muss ich Euch entblößen. Soll Euer … Soll Messèr Sagredo den Raum verlassen?«
    »Ich bleibe«, erklärte Sagredo sofort kategorisch.
    Achselzuckend schob Sanchia die Decke zur Seite und versuchte, sich ihren Schreck nicht anmerken zu

Weitere Kostenlose Bücher