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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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ergebener Diener,
    Lorenzo C.
    Sie hatte den Brief eine Woche lang an ihrem Herzen getragen und im Geiste jede wache Minute an einer Antwort gefeilt. Nebenher hatte sie sich angewöhnt, regelmäßig ihre Zähne mit faserigen Holzstückchen zu putzen und Salbei- und Minzeblättchen für besseren Atem zu kauen, und sie hatte sogar zweimal versucht, sich das Körperhaar zu entfernen, wie es auch einige der anderen Nonnen taten. Doch Letzteres hatte sie schnell wieder gelassen, nicht nur, weil die Enthaarungspaste scheußlich stank, sondern weil ihre Haut hinterher tagelang gejuckt und gebrannt hatte. Es interessierte sie glühend, wie ein Dampfbad aussehen mochte. Sie hatte gelesen, dass bereits die Römer dergleichen gekannt hatten, aber sie hatte keine Vorstellung, wie es in allen technischen Einzelheiten funktionierte.
    Seither hatten sie ein gutes Dutzend Briefe geschrieben, aber für Sanchia war der Reiz des Verbotenen, das Flattern in ihrem Magen und die angespannte Erwartung noch immer wie beim ersten Mal.
    An diesem Morgen waren keine weißen Tauben im Schlag. Er war wieder unterwegs, diesmal nach Southhampton, einem Ort, der auf dem Seeweg so unvorstellbar weit weg war, dass ihr schwindlig wurde, wenn sie es sich nur vorstellte. Die Tauben flogen natürlich die kürzere Strecke über Land, doch dabei mussten sie die Alpen überqueren, wo sie zahlreichen Gefahren ausgesetzt waren. An den Berghängen lauerten überall Greifvögel, und tückische Fallwinde fuhren durch die Täler. Sanchia lebte in beständiger Sorge, dass die Tauben von einem ihrer Flüge nicht zurückkehrten.
    Einen Moment zauderte sie, doch dann beschloss sie, es könne nicht schaden, ein Gebet für die Vögel zu sprechen.      
    Pater Alvise hatte bereits mit dem Lesen der Morgenmesse begonnen. Eine kleine Schar Gläubiger hatte ebenfalls den Weg in die Kirche gefunden, hauptsächlich ärmlich gekleidete alte Frauen, die kaum noch die Kraft zum Gehen hatten und ihren einzigen Trost aus der regelmäßigen Zwiesprache mit Gott zogen. Auf der Empore knieten drei Nonnen, es waren die Frauen, die nie ein Tagesgebet ausließen und die ihre Gelübde aus Überzeugung und nicht auf Druck von Verwandten abgelegt hatten.
    Sanchia gesellte sich zu ihnen und kniete neben ihnen nieder.
    Mattes Licht fiel durch die in Blei gefassten Kirchenfenster und erleuchtete die Heiligenfiguren, die in Nischen entlang der Wände aufgereiht standen. Der Altar lag im Halbdämmer, ebenso wie die Empore, die zusätzlich durch die geschnitzte Holzwand abgedunkelt war.
    Die Nonne neben Sanchia psalmodierte halb singend, halb murmelnd vor sich hin. Die Augen hatte sie geschlossen und den Mund zu einem verzückten Lächeln verzogen, als wäre der Bund mit Christus nicht nur eine seelische, sondern auch eine körperliche Erfahrung.
    Der betagte Priester hob die Hände und segnete die Gemeindemitglieder, die trotz der ihrem Höhepunkt zustrebenden Karnevalsfeiern auch heute den Weg zu Gott gefunden hatten.
    Unruhe entstand, als eine der Kirchenbesucherinnen begann, laut zu weinen. Sanchia reckte den Kopf und sah durch das Flechtmuster der Trennwand, dass eine Frau aus den Bankreihen vorgetreten und sich vor dem Altar der Muttergottes niedergeworfen hatte. Schluchzend und unverständliche Wortfetzen hervorstoßend, kniete sie auf dem steinernen Fußboden.
    Pater Alvise erstarrte mitten in einer Rezitation aus den Evangelien des heiligen Markus und eilte auf die lamentierende Frau zu. Er bemühte sich, leise zu sprechen, doch dank der hallenden Akustik des Mittelschiffs hörte Sanchia seine Stimme deutlich bis hinauf zur Empore.
    »Mäßigt Euch!«
    Die Frau dachte indessen nicht daran, seinem Befehl Folge zu leisten. Sie heulte eher noch lauter, und diesmal konnte man jedes ihrer Worte verstehen.
    »Der Teufel soll seine schwarze Seele holen! Warum sagt er, dass er mich liebt, wenn er in Wahrheit nur darauf aus ist, seinen Schwanz in mich reinzustecken?«
    Die Nonne neben Sanchia schnappte nach Luft und ließ ihren Rosenkranz fallen, und auf den Bänken im unteren Teil der Kirche brach eine Art Tumult aus, sofern man bei einem halben Dutzend Besuchern überhaupt davon sprechen konnte. Stimmengewirr erfüllte den Raum bis unter die Dachsparren, übertönt vom Gejammer der Frau, das laut von den Wänden widerhallte.
    »Ich habe weiß Gott genug gebetet!«, schrie sie den Priester an. »Zur heiligen Jungfrau und noch ein paar hundert anderen Heiligen. Und zu Christus auch, jeden

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