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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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dann erst begriff er, dass seine Hand ihm nicht mehr gehorchte. Als endlich der Schmerz in sein umnebeltes Hirn drang, ließ er einen markerschütternden Schrei hören.
    Die Frau brach zu seinen Füßen zusammen und kroch hastig zur Seite, die Hand gegen den blutenden Hals gepresst. Sie war verletzt, aber nicht schwer.
    Die Wachen stürzten sich auf den Sohn des Zehnerrats und schleppen ihn weg. Er ließ sich widerstandslos mitziehen. Seine Füße schleiften über das Pflaster, und er schrie vor Schmerzen, bis einer der Wachleute ihm einen Hieb ins Gesicht versetzte, der ihn zum Schweigen brachte.
    Passanten kümmerten sich um das Mädchen und halfen ihm auf. Sie starrte Lorenzo benommen an und versank in eine tiefe Verbeugung. »Danke, Domine.«
    Er nickte nur stumm und hob seinen Dolch auf, der bei dem Gerangel während der Festnahme zu Boden gefallen war. Er wischte ihn an seiner Schuhsohle ab und schob ihn zurück in die Scheide.
    »Das mit dem waffenlosen Einsatz war vorhin vielleicht ein wenig voreilig von mir«, meinte Sagredo. Langsam ließ er den angehaltenen Atem entweichen. »Bei den Heiligen, was seid Ihr für ein bemerkenswerter junger Mann!«
    Er ging ein paar Schritte zur Seite, wo unter den Arkaden ein Junge eine Kiste mit Früchten bewachte. Sagredo warf dem Jungen eine Münze zu, die dieser geschickt im Flug auffing und einsteckte. Der Junge trottete über die Piazetta davon, und Sagredo hob die Kiste auf und schnallte sie mit einem Tragegurt um.
    Er streckte Lorenzo eine Orange entgegen. »Darf ich Euch eine Erfrischung anbieten, Domine?«
    Lorenzo traute seinen Augen nicht. Was sollte dieses Possenspiel?
    »Wer seid Ihr?«, wollte er gereizt wissen.
    »Ein ganz normaler Obsthändler. Wenn Ihr mögt, könnt Ihr mich Jacopo nennen.«
    Lorenzo fühlte sich elend. Trotz der Sommerhitze fror es ihn plötzlich, und seine Hände zitterten. Er hatte zum ersten Mal in seinem Leben einen Menschen verletzt. Natürlich hatte er einen anderen Menschen dadurch gerettet – vielleicht sogar drei auf einmal, denn da war noch das ungeborene Kind, und Enricos Hals hatte er mit dem Wurf vermutlich ebenfalls aus der Schlinge gezogen –, aber für all das war mit Blut und Angst bezahlt worden.
    Er gab sich lässig, nahm die Orange, zog seinen Dolch hervor und schnitt sie auf, bis der Saft herauslief. »Ein Obsthändler? Beliebt Ihr, mit mir zu scherzen?«
    »Nicht im Traum würde ich das wagen.« Sagredo betrachtete respektvoll das Messer, dann bedachte er Lorenzo mit einem reumütigen Grinsen. »Allerdings handelt es sich hier um eine Sache, die Ihr in diesem neuen Gewerbe beizeiten lernen müsst, mein junger Freund. Genauso, wie Ihr es gelernt habt, nicht nur ein erfolgreicher Händler zu werden, sondern auch ein blitzschneller Messerwerfer.« Er breitete die Hände aus, in der Rechten eine Orange, in der Linken eine Zitrone. Dann führte er die Hände zusammen, so schnell, dass das Auge ihnen kaum folgen konnte, und als er sie erneut zur Seite bewegte, waren die Früchte verschwunden. Eine weitere Bewegung, und sie waren wieder da, als hätten sie sich aus dem Nichts materialisiert.
    »Merkt es Euch gut und denkt zu gegebener Zeit immer daran: Es gibt niemanden unter uns, der nicht mindestens zwei Gesichter hat.«
    Das Läuten der Marangona hallte durch die Gassen, während aus dem rötlichen Morgendunst über dem Dächermeer die Sonne aufstieg und die Lagune in Helligkeit tauchte. Wie von unzähligen beweglichen Spiegeln wurden die Strahlen zurückgeworfen und gestreut, bis sie in den letzten Winkel leuchteten und ihr Licht zu einer Hülle wurde, die alle Gegenstände der Stadt mit Gold und Silber zu überziehen schien, bis sogar brackige Wasserflächen, verrottete Uferstücke und verfallene Palazzi wie das Geschmeide eines Riesen aussahen. Die Gondeln schwammen auf einer Schicht tanzender Dukaten, und auf dem funkelnden Juwelenpflaster der Straßen und Plätze schwärmten die Menschen aus, um ihr Tagwerk zu verrichten.
    Sanchia liebte dieses Spiel aus Licht und Bewegung am frühen Morgen. Sie stand am Rand der Altana und zog ihr Schultertuch fester um sich. Auf dem Dach des Refektoriums war es empfindlich kühl, obwohl es noch drei Wochen bis Allerheiligen waren.
    Eleonora erzählte sie, dass sie Krankenbesuche machte, wenn sie um diese Tageszeit aufs Dach hinaufstieg. Es war keine vollständige Lüge, denn sie schaute tatsächlich regelmäßig nach zwei oder drei Patienten, sobald sie hier oben fertig war.

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