Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
Vom Netzwerk:
Dennoch belastete sie dieser Zustand, und wenn sie zurückkehrte, fürchtete sie jedes Mal, dass die Heimlichtuerei ihr ins Gesicht geschrieben stand. Eleonora mangelte es vielleicht an klassischer Bildung, aber ansonsten gab es an ihrem Verstand nichts auszusetzen, vor allem nicht an ihrer Fähigkeit, Menschen zu durchschauen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie merkte, dass Sanchia sie hinterging. Und das fortwährend seit einem halben Jahr, ziemlich genau seit jener Zeit, in der sie Eleonora vollständig ins Vertrauen gezogen hatte. Sanchia hatte nach ihrem verstörenden Besuch in der Ca’ Caloprini zum ersten Mal seit der Nacht, in der ihre Eltern gestorben waren, über die damaligen Ereignisse gesprochen, tränenlos und leise, und Eleonora hatte sie einfach stumm in die Arme genommen und war am nächsten Morgen mit ihr nach Murano aufgebrochen. Seither war vieles anders zwischen ihnen. Sie waren einander näher als je zuvor, aus ihnen waren Schwestern im Geiste und Freundinnen geworden. Das Schicksal hatte sie zusammengeschweißt, und nach anfänglichem Widerstreben hatten sie beide es auf eine Art akzeptiert, als wäre es schon immer so gewesen. Und doch hatte Sanchia zugelassen, dass ein verbotenes Geheimnis zwischen sie treten konnte.
    Sie hatte wortlos zugesehen, wie Eleonora alle Geschenke, die sie jemals von Monna Caloprini erhalten hatte, Stück für Stück im Ofen verbrannte. Und gleichzeitig verwahrte sie selbst in ihrer Schatulle Lorenzos Briefe und steckte alle paar Wochen heimlich einen neuen dazu.
    Doch gleichgültig, wie erbärmlich sie sich bei alledem fühlte – sie konnte nicht verhindern, dass ihr das Herz schwer und rasch in der Brust schlug, wenn sie zum Taubenschlag kam und das weiße Gefieder zwischen all den grauen, blauen und erdfarbenen Körpern aufleuchten sah. Sie konnte sich nicht gegen das köstlich warme Gefühl wehren, das sie überkam, wenn sie am Fuß eines der Vögel die kleine Pergamentrolle sah.
    Er hatte Wort gehalten. Nur eine Woche nach ihrem Besuch an seinem Krankenbett war sein erster Brief gekommen. Sie hatte noch jede Zeile vor Augen.
    Sanchia, kleine Taube,
    nachdem ich nun durch Eure Hilfe wieder genesen bin, vermag ich kaum Worte zu finden, um Euch meinen Dank zu entbieten. Ich habe Euren Rat befolgt und drei Tage lang dieses salzige Gesöff getrunken, bis ich mich fühlte wie ein in der Lagune schwimmender Fisch. Rufio zwang mich dazu und drohte mir, den Medicus zu holen, falls ich mich weigern sollte. Wenn ich daran denke, in welchem Zustand Ihr mich erlebt habt, möchte ich immer noch vor Scham erröten und kann nur hoffen, dass Ihr zwar den Mann, nicht aber den ihn umgebenden Unrat im Gedächtnis behalten werdet.
    Hier hatte sie mit Lesen innegehalten, nicht in der Lage, die unerfreuliche Assoziation zu unterdrücken, die sich ihr bei diesen Worten aufdrängte – und die nichts mit dem zu tun hatte, was er ansprach. Es gab zwei Themenkreise, die sorgsam bei ihrer Korrespondenz ausgespart wurden. Seine Mutter und Sanchias Eltern. Fast schien es, als geschehe es aufgrund einer stillschweigenden Vereinbarung, um einen Schwebezustand zwischen ihnen zu erhalten, der so bitter-süß und fragil war, dass er völlig außerhalb aller Erfahrungen lag, die Sanchia bisher in ihrem Leben gemacht hatte.
    Schließt mich in Eure Gebete ein, kleine Taube, denn bald schon gehe ich auf die nächste Reise. Sie führt mich nach Alexandria, wo ich schon einmal war und wundersame Dinge erlebt habe.
    Er schrieb davon, dass die Anhänger des Propheten sich in großen Dampfbädern reinigten und die Haare von ihren Körpern entfernten, vor allem die Frauen, und dass sie regelmäßig ihre Zähne reinigten, um sie bis ins hohe Alter schneeweiß und gesund zu erhalten. Er schrieb von einem sagenumwobenen Leuchtturm und gigantischen Götterstatuen, welche die Hafeneinfahrt der Stadt bewacht hatten, bis ein Erdbeben alles zum Einsturz gebracht hatte und auf den Trümmern eine gewaltige Zitadelle errichtet worden war, in deren Innerem sich ein Wasserspeicher verbarg, von solch ungeheurer Größe, dass Soldaten hier jahrelanger Belagerung standhalten konnten. Dass es in den Palastgärten winzige Vögel gab, kaum größer als Bienen, die fremdartige Blüten umschwirrten.
    Kleine Taube, wie sehr Eure Augen leuchten würden, wenn ich Euch all diese Dinge zeigte. Hat Euch schon jemand gesagt, dass Eure Augen die Farbe von Aquamarinen haben?
    In Erwartung Eures Briefes bin ich Euer

Weitere Kostenlose Bücher