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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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Die letzten starken Böen trieben sie an eine sandige Küste, wo sie zu Tode erschöpft aus dem Boot kletterten. Girolamo zerrte den Kahn über den Strand, wo sie kurzerhand wieder hineinstiegen und sich aneinanderdrängten, um im gegenseitigen Schutz ihrer Körperwärme die nächsten Stunden zu überstehen. Es war zu dunkel, um die Umgebung zu erkunden, und Girolamo danach zu fragen, wo sie sich befanden, war in Anbetracht der Umstände ebenso sinnlos. Auch wenn er es wusste, konnte er es ihnen nicht sagen.
    Als Sanchia im Morgengrauen erwachte, war er fort.
    Wie gerädert von der unbequemen Nacht durchsuchte Sanchia im spärlichen Licht des heraufziehenden Tages zunächst das Boot. Von der Umgebung konnte sie noch nicht genug erkennen, um sich ein Bild zu machen.
    Unter der Ruderbank fand sich eine Kiste, in der außer Meerwasser ein paar Brocken eingeweichten Brotes und ein toter Fisch schwammen. Neben der Kiste lag eine offene Lederbörse, in der sich Gold- und Silberstücke befanden, nicht allzu viele, aber genug, um sie alle für eine Weile am Leben zu erhalten. Offenbar hatte Pasquale, soweit es die Verhältnisse ihm in der Kürze der Zeit noch erlaubt hatten, weitblickend ihre Flucht vorausgeplant.
    Eleonora, die sich mit dumpfen Wehlauten aus der Wachstuchhülle hervorquälte, unter der sie gemeinsam die Nacht verbracht hatten, blickte benommen in die Runde. »Wo sind wir?«
    »Keine Ahnung.«
    »Wo ist Girolamo?«
    »Ich weiß es nicht. Pasquale …« Sanchia stockte. »Hast du gesehen, ob …?« Sie brachte es nicht fertig, die Frage auszusprechen.
    »Er wurde von den Wachen weggeschleppt.« Eleonora wurde zusehends wacher. »Sie werden ihm doch nichts tun, oder? Ich meine, er hat schließlich ein Holzbein!« Furchtsam blickte sie zu dem atmenden Hügel hinüber, der sich unter dem Wachstuch abzeichnete. »Der Strappado … Sie können doch nicht … Nicht mit einem Krüppel wie ihm, oder?«
    »Keine Foltermethoden bei Krüppeln, Kindern, Schwangeren und Stummen«, zählte Sanchia auf. »So lautet das Gesetz der Quarantia Criminal .« Sie hatte keine Ahnung, ob es stimmte, doch das musste Eleonora nicht erfahren. Zur Untermauerung fügte sie hinzu: »Deshalb haben sie auch Girolamo nichts getan.«
    »Wie ist er überhaupt aus dem Gefängnis entkommen?«
    »Wahrscheinlich hatte er Hilfe von Jacopo Sagredo.«
    »Dem Obsthändler? Ob Annunziata ihn geschickt hat?« Eleonora zögerte. »Es tut mir furchtbar leid, Sanchia. Das mit Lorenzo, meine ich. Es war sehr mutig, was er für uns getan hat. Was er für dich getan hat. Ich habe ein schlimmes Schicksal erlitten, aber dein Verlust ist weit schrecklicher.«
    Die Trauer traf Sanchia mit der Wucht eines Schwerthiebs. Sie drehte sich ruckartig zum Meer und blickte in die Ferne. Ihr ganzes Innere tat so weh, dass sie kaum atmen konnte, und einen Moment lang fragte sie sich, warum sie ihm nicht letzte Nacht nachgefolgt war.
    Eleonora war neben sie getreten. »Ich wollte tot sein«, sagte sie leise. »Ich wollte es so sehr. Aber dann, ich weiß nicht wie und warum … Doch, ich weiß es. Er nahm mich in die Arme. Der Mann, den ich liebe. Plötzlich fügte sich in mir wieder etwas zusammen, das vorher zerbrochen war. Auf einmal wollte ich weiterleben.« Sie hielt inne und dachte nach. »Wir haben ja nur ein Leben, jeder von uns. Auch wenn wir alles verloren haben und glauben, allein nichts mehr wert zu sein – wir haben noch uns selbst. Wir sind nur einmal auf der Welt. Jeder von uns ist etwas Besonderes. Die Ehrwürdige Mutter Albiera hat das mal gesagt, weißt du noch? Es war an dem Tag, als ich nach San Lorenzo kam. Ich hatte niemanden mehr, meine Eltern und meine Brüder waren tot. Ich war ganz allein, nur Hector war noch bei mir. Albiera brachte mich zu unserer Zelle, und ich habe schrecklich weinen müssen. Da hat sie es dann gesagt. Ich höre sie noch. ›Weine nicht, mein Kind. Sogar dann, wenn wir glauben, nichtswürdiger als Staub vor dem Angesicht des Herrn zu sein, haben wir immer noch das Wichtigste: uns selbst. So, wie wir sind – einzigartig und unverwechselbar.‹« Sie bückte sich und griff nach einem bizarr geformten weißen Stein, der im Sand lag. »So wie der Stein hier. Kein anderer Stein ist wie dieser. Ich könnte ihn ins Meer werfen …« – sie tat es – » …und er ist im Wasser. Die Sonne wird ihn nie wieder bescheinen. Er ist weg, es sieht ihn keiner mehr.« Eindringlich blickte sie Sanchia von der Seite an. »Verstehst

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