Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
sensationslüsterne Schreie laut, als Enrico mit einem Ruck die Waffe zurückzog und erneut zustieß.
Lorenzo fühlte den Einstich in seinem Hals wie eine Feuerschneise, die ihm sengend die Luft abschnitt, bevor sie von seinem eigenen Blut gelöscht wurde, an dem er ertrinken würde. Er fiel und landete auf dem Rücken. Die Berührung einer Hand in seinem Nacken, ein Tritt in seine Seite, das waren die letzten körperlichen Empfindungen, bevor sich die Taubheit über seine Glieder legte.
»Seht!«, hörte er Enrico triumphierend sagen. »Ich wusste es! Hier ist der Dolch! Er hatte noch eine Waffe im Kragen stecken, die er gerade ziehen wollte!«
Dann war Rufio da, sein schwarzes, vor Entsetzen starres Gesicht dicht über seinem. Dahinter Sagredo, der Enrico gepackt hielt, ihn schüttelte wie einen Lumpensack und ihn als üblen Taschenspieler beschimpfte.
Wie aus dem Nichts erschien plötzlich auch sein Onkel, übernächtigt und mit blutunterlaufenen Augen. Ein Säufer namens Francesco Caloprini, der weinerlich etwas stammelte und ihn um Verzeihung bat.
Die Eindrücke verschwammen und lösten sich zu nichts sagenden Begleiterscheinungen eines unausweichlichen Endes auf. Die Absurdität dessen, was hier geschah, schien ihm nebensächlich im Vergleich zu dem gellenden Aufschrei, der weithin über die Lagune zu hören war und ihm folgte, während er auf dem Rücken lag und in den Himmel starrte. So weit weg, so nah. Es war ihre Stimme. Sie hatte es mit angesehen.
Er dachte an sie, als könnte er mit der bloßen Kraft seiner Vorstellung ihre Seele erreichen und ihr sagen, was noch wichtig war.
Nicht schlimm, dachte er. Es tut nicht weh.
Aber natürlich tat es doch weh, weil er in dem Augenblick, da er gehen musste, allein war, ohne sie.
In deinen Armen sterben, hatte er einmal gesagt. Das wäre mein Wunsch. Der Löwe und die Taube, auf ewig vereint.
Ich bin bei dir, dachte er. Jetzt. Immer.
Und in dem Moment, als er diesen Gedanken in die Weite des Himmels entließ, wusste er, dass sie ihn hören würde.
Sie schrie wie von Sinnen und wehrte sich mit der Kraft einer Furie, als Eleonora sie gewaltsam davon abhalten wollte, ins Wasser zu springen und zu ihm zu schwimmen.
Sie hatte seine Gedanken so deutlich gespürt wie eine Berührung. Er war bei ihr, ganz nah. Er hatte die Hände nach ihr ausgestreckt, sie musste zu ihm.
Erbittert holte sie aus, um Eleonora zu schlagen. Warum ließ dieses elende Weibsbild sie nicht los?
»Hör auf!«, kreischte Giulia vom Heck des Sàndolo. »Er ist tot! Begreife es! Du kannst ihn nicht mehr retten! Willst du dich umbringen? Soll er dafür gestorben sein?« Sie wandte sich an Girolamo. »Wenn du willst, dass sie lebt, tu etwas.«
Und er gehorchte. Schwitzend und keuchend und ohne das Ruder loszulassen, packte er Sanchia mit der freien Hand beim Hals. Er würgte sie nicht, sondern drückte nur zu, ohne besonders viel Kraft aufzuwenden.
Sie wollte ihn anbrüllen, ihm verbieten, sie anzufassen und ihm befehlen, sie auf der Stelle wieder an Land zu bringen, doch zu ihrem Erstaunen versagte ihr die Stimme. Mehr noch, sie spürte, wie sie die Besinnung verlor.
In ihren Träumen sah sie Lorenzo wieder und wieder inmitten der Menschenmenge auf der Mole unter Enrico Grimanis Schwertstreichen fallen, beide Hände wehrlos gehoben und den Blick aufs Meer gewandt. Sie könnte es verhindern, wenn sie nur rechtzeitig zu ihm gelangte. Doch immer, wenn das Boot sich der Mole näherte, rückte das Geschehen ein Stück in den Hintergrund, und sie schaffte es nicht, ihn zu erreichen, sosehr sie sich auch anstrengte.
Als sie wieder zu sich kam, war es dunkel, und sie befanden sich mitten in einem Sturm. Blitze fuhren vom Himmel nieder, gefolgt vom Brüllen des Donners, und ein orkanartiger Wind trieb Regenschauer über die kochende See.
Blinzelnd und nach Luft schnappend setzte Sanchia sich auf und dachte erleichtert: Gott sei Dank, es war nur ein Traum!
Dann traf sie schlagartig die Wirklichkeit. Es war alles so geschehen. Würgend kam sie auf die Knie und beugte sich über die Reling des schwankenden Bootes. Sie übergab sich in die Wellen, in denen das Boot auf und ab schwankte wie in einem schäumenden Hexenkessel. Es musste noch Tag sein, die Dunkelheit war nicht vollständig, sondern rührte von den Sturmwolken her, die wie Blei den Himmel verhüllten und bis zum Wasser reichten.
Eleonora hockte wie eine zerzauste Krähe unter ihrem windgeblähten Kleid mittschiffs auf den Planken
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