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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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Seine dazu, sodass Sanchia darauf verzichten konnte, ihren Fuß gegen Giulias Oberkörper zu stemmen, um für den nötigen Gegendruck zu sorgen. Sie zog an dem Arm und schob ihn zugleich mit vorsichtigem Drehen in die richtige Position, bis das Schultergelenk mit hörbarem Schnappen in die Pfanne sprang. Beim Ellbogengelenk war es ein wenig schwieriger, weil es nicht nur verrenkt, sondern auch so verdreht war, dass Sanchia fürchtete, hier könne doch etwas gebrochen sein. Blieb nur zu hoffen, dass der Arm nicht steif wurde.
    Sie legte der Bewusstlosen die Arme angewinkelt vor den Oberkörper, wodurch beide Glieder einander als natürliche Schiene dienten. Für die Bandage wollte sie bereits ihr Unterkleid herausreißen, besann sich dann aber und nahm das von Giulia. Der Stoff widersetzte sich ihren Bemühungen und ließ sich erst mit Girolamos Hilfe abtrennen.
    Sanchia fühlte sich Eleonora gegenüber bemüßigt, eine Erklärung abzugeben.
    »Ich benutze ihr Unterkleid, weil es von besserer Qualität ist als meines. Der Stoff ist fester, weicher, sauberer und wird länger halten.«
    Eleonora raffte ihre triefenden Gewänder und zog die Nase hoch. »Meinetwegen kannst du sie mit dem Segel verbinden, das ist mir egal. Hauptsache, diese Reise ist bald vorbei.« Sie griff nach dem Kübel und fing an, erneut Wasser zu schöpfen.
    Mit schwacher Erleichterung registrierte Sanchia, dass ihre Freundin weniger teilnahmslos wirkte als im Gefängnis. Flüchtig fragte sie sich, wo Pasquale jetzt sein mochte. Sie selbst hatte während der Vorfälle heute Mittag Lorenzo nicht aus den Augen gelassen und daher nicht mitbekommen, was mit Pasquale geschehen war. Sie setzte bereits an, Eleonora danach zu fragen, besann sich dann aber und wickelte stattdessen schweigend die Bandage um Giulias Oberkörper, bevor sie ein Wachstuch unter der hinteren Bootsbank hervorzerrte und es über die Bewusstlose breitete.
    Anschließend zog sie sich an die Stelle zurück, an der sie vorhin aufgewacht war. Stumm starrte sie auf das windgepeitschte Wasser. Der Sturm hatte in den letzten Minuten wieder an Stärke gewonnen, und Girolamo hatte alle Hände voll zu tun, das Boot zwischen den Wellenbergen hindurchzusteuern.
    Sanchia schloss die Augen und wartete, bis sie erneut das letzte Bild vor sich sah, das sie von Venedig mitgenommen hatte.
    Lorenzo, schrie es in ihr.
    Sie machte die Augen wieder auf. Das dunkle Wasser schien ihr nicht länger drohend und gefährlich. Jede Welle, die auf sie zurollte, wirkte plötzlich wie eine lockende Einladung.
    Es wäre alles ganz einfach, ein kalter, schneller Tod. Sie hatte schon oft gehört, dass Ertrinken die schönste Todesart sei. Sie würde rasch hinübergleiten in eine andere Welt, dorthin, wo er bereits auf sie wartete.
    Mit einem Mal wollte sie nichts sehnlicher, als auf diese Weise zu ihm zu gelangen.
    Sie hatte schon die Hand auf dem Bootsrand, als sie die Stimme hörte. Sie war wie ein Wispern im Sturm, und sie begriff, dass sie aus ihrem Inneren kam.
    Du würdest es wissen. Wäre er von dir gegangen, würdest du es spüren. Wo immer er ist, auf Erden oder im Himmel – er ist noch bei dir. Hier und jetzt, für alle Zeit.
    Wie zur Bekräftigung dieses Schwurs zuckte ein Blitz vom Himmel, fast zeitgleich mit dem Knall des Donners.
    Ihre Hand glitt zwischen ihre Brüste, wo sie das Amulett ertastete. Ein seltsames, fremdartiges Andenken an eine tote Frau aus ihrer Vergangenheit.
    Sanchia hatte herausgefunden, dass der Sklave Recht hatte. Es war das Symbol eines Wikingerschiffes, sie hatte es erst vor kurzem als Illustration in einem alten Buch entdeckt, das ein Kreuzritter aus dem Norden vor vielen Jahren der Klosterbibliothek gestiftet hatte.
    Das silberne Schiff auf ihrer Haut und die hölzerne Nussschale unter ihren Füßen schienen zu einer Einheit zu verschmelzen. Sie fühlte ihre Stärke mit der Macht des Sturmes wachsen, es war wie eine unheimliche Kraft, die sich aus den Wolken speiste und mit den Zacken der Blitze niederfuhr, um durch das Wasser zu ihr emporzusteigen, als sei dies ihr Element.
    Mit gerecktem Kinn stand sie auf und trotzte dem Wind, der ihr unter das Kleid fuhr und an ihren offenen Haaren riss. Der Sturm peitschte ihr die Locken ins Gesicht und nahm ihr den Atem, doch sie hob den Kopf und blieb aufrecht stehen. Niemand würde sie je besiegen, solange sie es nicht zuließ.
    Sie war Sanchia Foscari, die Tochter des Glasbläsers.
    Der Sturm legte sich erst bei Einbruch der Nacht.

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