Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Täuschung.
Hinter ihm ging die Tür auf, und Caterina schaute ins Zimmer.
»Lorenzo, was tust du hier?«
»Ich habe nur nach ihm geschaut.«
»Das ist nicht nötig. Es ist immer jemand da, der sich um ihn kümmert.«
Der Alte fing an zu stöhnen, ein durchdringendes Geräusch, das sich allmählich zu einem Schrei steigerte.
Caterina bedachte den alten Mann mit hasserfüllten Blicken und rief nach Rufio, damit er sich um den Kranken kümmerte. Im selben Atemzug schalt sie Lorenzo, weil er einfach aufgestanden war. Rufio traf zeitgleich mit Francesco ein, der trotz der frühen Tageszeit sichtlich angetrunken war und sich mit beiden Händen am Türrahmen abstützen musste. Für ein paar Augenblicke herrschte das reinste Durcheinander.
Lorenzo, der sich schwach fühlte wie ein kleines Kind, hätte sich am liebsten auf die Dielenbretter gesetzt, um sich auszuruhen. Seine Mutter merkte es und schimpfte noch mehr. Während Rufio und Francesco sich um den Alten kümmerten, führte sie Lorenzo eigenhändig die Treppe hinunter zurück zu seiner Kammer und bestand darauf, dass er sich wieder hinlegte. Anschließend bezog sie Posten auf dem Stuhl neben seinem Bett, bis sie sicher sein konnte, dass er nicht wieder aufstand.
»Du bist so schwer verletzt, jede Anstrengung zum falschen Zeitpunkt kann immer noch deinen Tod bedeuten!«
Vorhin noch hätte ihr Ausruf ihn belustigt, doch nach seinem Ausflug ins Obergeschoss war er fast ihrer Meinung. Ohnehin hielt alle Welt es für ein Wunder, dass er noch am Leben war. Der Stich in die Brust hatte das Herz und die Lunge nur um Haaresbreite verfehlt, wie ihm der Leibarzt des Dogen, der vom Palast zu seiner Behandlung abgestellt worden war, versichert hatte. Auch so war es schlimm genug. Die Wunde hatte sich entzündet und heilte nur langsam. Immer noch tat ihm jeder Atemzug weh, und es fühlte sich an, als hätte ihm jemand ausgiebig in die Rippen getreten.
Die Verletzung an seinem Hals war gemessen daran weniger gravierend, auch wenn jedermann zu Anfang geglaubt hatte, sie sei tödlich gewesen. Jacopo Sagredo, der in den Tagen danach vorbeigekommen war, um nach ihm zu sehen, hatte geschworen, dass Lorenzo aufgehört hatte, zu atmen. Stattdessen, so hatte er mit einer Spur von Aberglauben im Blick versichert, hätte sich mit einem Mal sein Hals wie von allein geöffnet, um die Luft einzusaugen, so lange, bis schließlich die normale Atemtätigkeit wieder eingesetzt hatte.
Lorenzo hatte keinen Grund gesehen, ihm zu widersprechen. Nicht nur, weil er zurzeit des Vorfalls besinnungslos gewesen war, sondern weil er erst allmählich seine Stimme zurückgewann und jeder Versuch, zu sprechen, sich anfühlte, als wollte er einen Sack mit Kieseln schlucken.
An seinem Hals war ein Stück unter dem Kehlkopf ein senkrechter Schnitt, weit weniger groß, als er angesichts seiner Beschwerden geglaubt hatte. Doch ein Blick in einen Handspiegel hatte ihn eines Besseren belehrt. Die Wunde sah beinahe harmlos aus, obwohl es ihm im Moment der Verletzung vorgekommen war, als hätte Enrico, dieser Bastard, ihn enthauptet. Anscheinend hatte ihm sein Halstuch einen gewissen Schutz geboten und der eindringenden Klinge genug Widerstand entgegengesetzt, um ihm das Leben zu retten.
»Geht es dir gut, mein lieber Junge?«, fragte Caterina besorgt.
Lorenzo stellte sich schlafend und gab sich dabei seinen Gedanken hin. Nach einer Weile stand seine Mutter auf, um aus dem Zimmer zu gehen.
Er öffnete die Augen und starrte an die Decke, wo bei sonnigem Wetter die Lichtreflexe vom Kanal Muster bildeten. Heute war es draußen jedoch trüb und neblig, und Kälte drang durch die Fensterritzen. Rufio hatte bereits in der Frühe ein paar Holzscheite im Kamin angezündet.
Vor der Tür waren Schritte zu hören, und rasch gab er wieder vor, zu schlafen. Seine Mutter pflegte und umsorgte ihn mit einer Inbrunst, die ihm mehr als lästig war, zumal sie ihm ständig mit Fragen zusetzte, was genau er mit dieser Sanchia Foscari zu schaffen habe.
Doch nicht seine Mutter, sondern Jacopo Sagredo betrat das Zimmer.
Sein Gesicht war verschlossen, und Lorenzo schluckte unwillkürlich, eine Reaktion, die rasende Schmerzen in seinem Hals auslöste. Der Arzt hatte ihm versichert, die Heilung schreite rasch voran, und er werde auch bald wieder wie früher seine Stimme benutzen können, doch er selbst hatte den Eindruck, dass es Jahre dauern würde, bis alles wieder normal wäre.
»Gibt es Neues?«, flüsterte er
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