Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
und schöpfte mit einem Kübel Wasser aus dem Boot.
Das Segel war eingerollt und baumelte als nasser Sack am Mast, und Girolamo kämpfte mit dem Ruder, um trotz des Wellengangs eine Art Kurs beizubehalten. Um sie herum war nichts als Gischt und Dämmerlicht, Sanchia war es schleierhaft, woran er sich orientierte. Er hielt sein nasses Gesicht in den Sturm und warf ihr nur einen kurzen Blick zu, als sie zu ihm kroch und ihn fragend ansah.
»Wo sind wir?«, schrie sie gegen das Heulen des Windes an.
Er zuckte die Achseln und rührte keine Miene, als ein Brecher von Luv kam und über die Bordwand rollte. Das Boot krängte stark, und Eleonora stieß einen ungewohnt gotteslästerlichen Fluch aus, während sie weiter den Eimer schwang.
Als Girolamo sich bei der nächsten Welle vorbeugte, sah Sanchia auch den letzten Passagier. Giulia hatte sich dicht hinter Girolamo neben den Mast gekauert und wurde bei jeder Bewegung des Bootes hin und her geworfen. Wegen ihrer Verletzungen konnte sie sich nicht abstützen. Auch ihr Gesicht war nass, doch nicht allein vom Meerwasser. Sie schluchzte und wimmerte unablässig vor sich hin. Sanchia wusste, dass es mit wenigen Handgriffen möglich wäre, ihr Erleichterung von ihren Schmerzen zu verschaffen, aber wozu? War es nicht Giulias Schuld, das Enrico Grimani wie ein Racheengel aufgetaucht war und Lorenzo getötet hatte?
Doch sie hatte diesen Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als sie auch schon zu Giulia kroch und ihre Schulter- und Ellbogengelenke betastete. Der Strappado war eine ebenso furchtbare wie effiziente Folter, unblutig und leicht durchzuführen. Für das fast immer erfolgreiche Verhör musste der Folterknecht nichts weiter tun, als dem Opfer die Hände auf den Rücken zu fesseln und es mit einem Seil über einen Flaschenzug hochzuhieven. Die Signori di Notte, die für das Tormento zuständig waren, benutzten die Methode mit Zustimmung des Zehnerrats zur Erzwingung von Geständnissen – natürlich nur, sobald ein ausreichender und stichhaltiger Anfangsverdacht vorlag. Das Folterseil war die einzige Verhörmarter, die in der Serenissima zur Anwendung kam. Sanchia wusste, dass in fast allen Ländern der bekannten Welt weit gröbere Maßnahmen an der Tagesordnung waren, doch das linderte Giulias Schmerz nicht im Mindesten.
Das rechte Schultergelenk war ausgerenkt, ebenso der linke Ellbogen. Es schien nichts gebrochen, aber vermutlich waren sämtliche Sehnen gezerrt oder vielleicht sogar angerissen.
»Hat man dich am Seil fallen lassen?«, fragte Sanchia. Eine Verschärfung des Strappado bestand darin, den Verhörten nicht nur hochzuziehen und hängen zu lassen, sondern ihn ruckartig nach unten fallen zu lassen und kurz über dem Boden abzufangen, womit man den Schmerz ins Unermessliche steigern und sogar den verstocktesten Übeltäter dazu bringen konnte, alle nur erdenklichen Sünden zu gestehen, ob er diese nun begangen hatte oder nicht.
Giulia, die schwer atmend die Untersuchung über sich hatte ergehen lassen, schüttelte den Kopf. »Zweimal hochgezogen und hängen gelassen, von einem Glockenschlag bis zum nächsten. Hätte ich nicht einen Sohn, von dem ich hoffe, dass er irgendwo in Sicherheit ist, wäre ich schon über Bord gesprungen.«
»Ich kann dir die Gelenke einrenken, aber danach muss ich dir die Arme fest an den Körper bandagieren. Du wirst vollkommen hilflos sein.«
Giulia lachte kurz und freudlos. »Was glaubst du, bin ich jetzt? Meinetwegen schneid mir die Arme ab. Hauptsache, sie tun nicht mehr weh.«
Ihr Haar hing ihr als wirrer dunkelroter Vorhang über dem Gesicht. Eine Frau mit zwei gesunden Armen hätte sich einfach die Strähnen aus der Stirn gestrichen.
»Das Einrenken tut so weh, dass der Strappado dagegen die reinste Wohltat ist«, erklärte Sanchia. »Girolamo wird dich festhalten müssen.«
»Er könnte mich lahmlegen, so wie dich heute Mittag.«
Sanchia schüttelte den Kopf. »Er soll nicht verhindern, dass du dich wehrst, sondern dich an Ort und Stelle halten. Es braucht enorme Kraft, um eine Schulter einzurenken.«
Damit beendete sie die mit lauten Rufen geführte Unterhaltung.
Als hätte der Himmel ein Einsehen, legte sich kurz darauf der Wind ein wenig, sodass Girolamo für eine Weile mit dem Rudern aufhören und Sanchia helfen konnte. Wie erwartet wurde Giulia bereits beim ersten Zug bewusstlos, der Rest war nicht weiter schwierig, bis auf das hohe Maß an körperlicher Kraft, das Sanchia aufwenden musste. Girolamo tat das
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