Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
wurden. Den Kommandos zufolge wurde soeben der Wachwechsel vollzogen. »Was habt Ihr schon groß zu verlieren?«
»Ich nehme nicht an, dass es um die Geheimnisse der Spiegelherstellung geht, sondern eher um Familiengeheimnisse.«
»Mit dieser Annahme liegt Ihr richtig.«
»Wie wollt Ihr mich hier rausschaffen?«, fragte Pasquale den Besucher. »Offiziell oder in einer Nacht- und Nebelaktion?«
»Natürlich Letzteres.«
»Dann will ich zuerst raus, sonst rede ich nicht.« Pasquale versuchte, Klarheit in seine Gedankengänge zu bringen. Es fiel ihm schwer, denn der Hunger hatte ihn so geschwächt, dass ihm schon die einfachsten Bewegungen als unüberwindliches Hindernis erschienen. Er konnte ja kaum die Hand heben. »Vorher muss ich außerdem essen, sonst kann ich mich nicht bewegen. Ich brauche ein Boot, Geld, Kleidung und Vorräte.«
»Das alles lässt sich einrichten. Aber Ihr müsst begreifen, dass Venedig in Zukunft für Euch eine verbotene Stadt ist.«
»Das ist mir völlig klar.«
Der Fremde löste einen Beutel von seinem Gürtel und knüpfte das Lederband auf, mit dem der Stoff zusammengehalten wurde. Der Duft von Brot und Käse traf Pasquale mit der Wucht einer eisenbeschlagenen Keule. Fast wäre er in Ohnmacht gefallen.
»Esst langsam, sonst wird Euch schlecht.«
Pasquale griff nach dem Brot. »Noch schlechter kann es nicht werden.«
»Meinst du, ihren Freunden wird mein Essen schmecken? Ob ich nicht besser noch eine vierte Nachspeise zusätzlich anbiete? Vielleicht etwas aus getrockneten Feigen, Rahm und Grappa? Ob diese Kombination etwas hergibt?« Eleonora bewegte sich hektisch von einer Ecke der Küche in die andere. Abwechselnd schnitt sie an dem großen Tisch in der Mitte des Raums Zutaten klein und rührte in den Pfannen und Töpfen, die teilweise über dem offenen Feuer des Kochkamins, teilweise auf dem Rost der fachkundigen Hand der Köchin harrten, wobei die Inhalte sich in unterschiedlichsten Stadien der Garung befanden, die jeweils exakt auf die geplante Menüfolge abgestimmt waren. Eleonora arbeitete seit drei Tagen von früh bis spät an der Verwirklichung ihres Konzepts, nur stundenweise von zwei Küchenmädchen bei den groben Vorbereitungen unterstützt. Alles sollte genau zum richtigen Zeitpunkt fertig sein, weder verkocht noch innen roh. Düfte durchzogen den weiten Raum, und Sanchia merkte, wie ihr der Magen knurrte. Sie hoffte, rasch noch eine Kleinigkeit stibitzen zu können, bevor sie aufbrechen musste. Hoffnungsvoll äugte sie in einen der Töpfe, aus dem es verführerisch nach in Wein geschmolzenem Käse roch.
Giulia hatte eine Abendgesellschaft von zwölf Personen angekündigt, eine nette kleine Runde , wie sie es nannte. Sanchia kam es allerdings so vor, als würde das, was in den Tiegeln vor sich hinschmorte, mindestens für die dreifache Anzahl von Gästen reichen, doch Eleonora hatte sie prompt belehrt, dass die Speisen mengenmäßig in jedem Fall für eine exzessive Völlerei reichen müssten, schließlich könne man nicht wissen, in welche Richtung die jeweiligen Geschmäcker und Gelüste der Besucher zielten.
Sanchia konnte sich ziemlich genau vorstellen, was die Gäste im Sinn hatten, und vermutlich stand das Essen dabei nicht an erster Stelle. Die beiden aufwändig herausgeputzten Mädchen, die schon vor einer Weile im Salon Stellung bezogen hatten, waren gewiss nicht nur als Servierhilfen gekommen.
Giulia platzte in die Küche, aufgeregt und umwerfend schön in ihrem neuen ockergelben Samtgewand, dessen Schließen aus edelsteinbesetzten Goldspangen bestanden. »Es ist so weit, die Glocke hat eben zur Komplet geläutet, sie werden sicher gleich kommen!« Sie zog schnuppernd die Luft ein. »Mhm, das riecht gut! Eleonora, du bist eine Künstlerin!« Sie drückte der überraschten Köchin einen Kuss auf die Wange. »Es war die richtige Entscheidung, euch mitzunehmen! Sanchia, wenn du dich noch überwinden könntest, uns Gesellschaft zu leisten, wäre die Runde perfekt!« Sie lächelte. »Damit meine ich nur freundliche, gebildete Konversation. Männer mögen das, zumindest am Anfang des Abends, solange sie noch nicht betrunken sind. Ich kenne keine Frau, die so viele gelehrte Dinge daherreden kann wie du. Ich wette, Giovanni wäre entzückt.«
Ihr Gönner würde heute Abend ebenfalls erscheinen. Sanchia hatte überrascht zur Kenntnis genommen, dass er kaum neunzehn Jahre alt war, aber dafür bereits seit fünf Jahren – dank des Einflusses seines Erzeugers –
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