Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
ihr klar wurde, was es mit diesem Bedürfnis für eine Bewandtnis hatte. »Eh … du brauchst die Zimmer für deine Herrenbesuche, stimmt’s?«, platzte sie mit feuerroten Wangen heraus.
»Keine Sorge, niemand wird dich zwingen, ihnen Gesellschaft zu leisten.« Giulia hielt inne, dann fügte sie zögernd hinzu: »Übrigens, eines wollte ich dir die ganze Zeit schon sagen: Es war richtig, dass du dem Kerl sein Messer zu schmecken gegeben hast.«
»Er war schon tot«, sagte Eleonora tonlos.
»Das spielt keine Rolle. Für dich war es wichtig. Du hast damit die Schuld demjenigen zugewiesen, dem sie zukommt. Ich kenne Frauen, die ihr ganzes Leben lang daran tragen, wenn sie … Wenn Ihnen das passiert, was dir geschehen ist. Sie müssen es wieder und wieder erdulden, in ihrer Vorstellung, und wie sehr wünschen sie sich manchmal, ein Messer in die Hand nehmen und es ihrem Peiniger heimzahlen zu können.«
Unter ihren Augen schienen mit einem Mal tiefe Schatten zu liegen. Sanchia betrachtete Giulia aufmerksam, doch diese wandte sich rasch ab und hantierte in der Truhe herum, die ebenso wie die neuen Kleidungsstücke erst vor kurzem den Weg in die ärmliche Kammer gefunden hatte.
»In Zukunft solltest du immer ein Messer bei dir haben«, sagte Giulia, ohne sich umzudrehen. »Das war es eigentlich, was ich dir sagen wollte.«
Eleonoras Wangen färbten sich noch eine Schattierung dunkler, und sie spielte angelegentlich mit ihrem Zopf. »Wir sind dir dankbar, dass wir bei dir wohnen dürfen«, sagte sie steif.
»Ich mache das nicht aus lauter Nächstenliebe«, warnte Giulia, während sie sich zu ihnen umwandte. »Ich liebe gutes Essen und saubere Zimmer. Und die Besucher legen ebenfalls Wert darauf. Irgendjemand wird sich darum kümmern müssen, und dafür hatte ich euch beide im Auge.«
»Das ist kein Problem«, sagte Sanchia rasch, bevor Eleonora erneut aus der Haut fahren konnte. »Darf man fragen, wer dir diese Gelegenheit eröffnet hat?«
Giulia zuckte die Achseln und verzog leicht das Gesicht vor Schmerz. Sanchia wusste, dass sie bei unbedachten Bewegungen noch die Verletzungen vom Strappado spürte. Der Ellbogen war immer noch ein wenig verkrümmt, doch Giulia machte eifrig Übungen, um ihre Beweglichkeit zurückzugewinnen, so auch jetzt wieder. Sie lehnte sich gegen die Wand, dehnte die Schultern und streckte vorsichtig beide Arme nach vorn, um die Gelenke zu lockern. »Hübsch ausgedrückt: die Eröffnung einer Gelegenheit!« Sie lächelte. »Nun denn, es ist ein liebenswürdiger junger Galan namens Giovanni. Er ist wirklich ganz reizend. Ein einmaliger Glücksfall nach so kurzer Zeit, würde ich meinen.«
Sanchia betrachtete das makellose, puppenhafte Gesicht und die Flut von Locken, die im Licht der Kohlen leuchteten wie brennendes Kupfer. »Wenn du es als Glück betrachtest, dir mit deiner Schönheit Männer gefügig zu machen, dann ist es wohl tatsächlich ein Glück.«
Giulia erwiderte ihren Blick. »Wenn du es wolltest, könntest du durch die Stadt schreiten wie eine Göttin, und alle Männer würden sich vor deinen Füßen in den Staub werfen. Sie würden darum betteln, auch nur den Saum deines Gewandes berühren zu dürfen. Sie würden dir hinterherhecheln wie läufige Hunde und dir Aquamarine um den Hals hängen, die von derselben Farbe und Größe wie deine Augen sind. Du könntest mit einem Fingerzeig über sie gebieten, über jeden einzelnen Mann in dieser Stadt.«
Sanchia begriff etwas, das ihr vorher nicht klar gewesen war. »Das ist es, was du bei den Männern suchst, nicht wahr? Macht.«
»Was sonst sollte mich an ihnen reizen? Nur wer Macht über sie gewinnt, kann vor ihnen sicher sein.«
Eine Fußspitze stieß ihn an, und er öffnete ein Auge. Das Bein vor ihm war in fein gewirkte Wolle gehüllt, der Fuß steckte in einem edlen Stiefel. Der dazugehörige Mann war derselbe, der seit Wochen regelmäßig in seiner Zelle auftauchte und ihn fragte, ob er reden wolle. Er könne, so meinte der Fremde, seine Situation entscheidend verbessern, wenn er alles aussagte, was er wisse. Falls er ein Geheimnis zu erzählen habe, so habe er gute Aussichten, im Gegenzug freigelassen zu werden. Pasquale hatte die Lüge förmlich gerochen und erklärt, er wisse nichts. Der Mann war danach regelmäßig wieder abgezogen, so schweigend, wie er hereingekommen war.
Heute schien es nach einem anderen Muster abzulaufen, denn der Mann ging vor ihm in die Hocke und nahm sein Barett ab, was er bisher nie getan
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