Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
wobei sie schon während der ersten Augenblicke dieser wilden Flucht ihre Holzschuhe verloren hatten. Irgendwie war es ihnen dennoch gelungen, zu entkommen. Giulia, die erst nach ungefähr hundert Schritten der wilden Flucht das Bewusstsein verloren hatte, behauptete später allerdings, die Türken hätten – vermutlich angesichts des zerlumpten Erscheinungsbildes der Beute – schon nach wenigen Schritten die Verfolgung aufgegeben und sich stattdessen über ihre Vorräte und die überall herumliegenden Münzen hergemacht.
Die Tür knarrte in den Angeln, als Giulia das Zimmer betrat. Sie streifte achtlos ihren durchnässten Umhang ab und warf ihn über einen Schemel. Ein kurzer Blick zeigte Sanchia, dass er neu war, aus tintenblauem, mit Seide gefütterten Samt und mit einer Pelzverbrämung an der Kapuze.
»Du hast einen neuen Umhang«, sagte Eleonora überflüssigerweise. Sie setzte sich schniefend auf und starrte Giulia mit großen Augen an, während diese ihre Lederstiefel auszog, die sie ebenfalls erst in der vergangenen Woche erworben hatte. »Hm, er ist sehr schön!« Sie streckte die Hand aus und fuhr über den Stoff. »Der Stoff ist ganz wundervoll, so weich und glänzend!«
»Ich borge ihn dir, solltest du je auf den Gedanken kommen, einen Fuß vor die Tür zu setzen«, sagte Giulia. »Man sollte nicht denken, dass du noch vor ein paar Wochen mit Lumpen an den Füßen quer durchs Land marschiert bist, so träge, wie du geworden bist.«
»Spare dir deinen Sarkasmus! Ich könnte sehr wohl das Haus verlassen, wenn ich ein Ziel vor Augen hätte! Ich würde jede Arbeit annehmen, die mein Zustand mir erlaubt und bei der ich mich nicht erbrechen muss! Vielleicht sogar deine!«
»Wirklich? Ich könnte dich mitnehmen. Vorausgesetzt natürlich, du lässt das Kotzen sein. Viele Männer sind ganz wild auf schwangere Frauen. Aber dazu wäre es gut, wenn man schon mehr von deinem Bauch sehen könnte. Damit scheint es mir noch nicht weit her zu sein.« Sie hielt inne und betastete ihr Gewand. »Meine Güte, ich bin überall nass geworden! Was für ein Wolkenbruch!« Giulia öffnete die Haken an ihrem Kleid und streifte das Oberteil herunter. Über dem bestickten Ausschnitt ihres seidenen Unterkleides wölbten sich ihre Brüste zu zwei milchweißen Halbkugeln.
Eleonora musterte sie erbost. »Einen Bauch kann ich noch nicht bieten, aber dafür zwei Euter, die deine weit in den Schatten stellen.«
Sanchia hielt es für angeraten, ein etwa aufkommendes Missverständnis gleich im Keim zu ersticken. »Giulia hat das nicht ernst gemeint. Sie wollte nur mit dir scherzen.«
»Woher willst du das wissen?«, fragte Giulia gelassen. »Was glaubst du, wovon ich gelebt habe, als ich schwanger war?« Sie wärmte ihre Hände über den glimmenden Kohlen. »Herrgott, ist es kalt geworden! Und dieser ewige Küchengestank! Kohl, Zwiebeln, Zwiebeln, Kohl! Meine schönen neuen Kleider werden dadurch noch völlig ruiniert! Es wird Zeit, dass wir anständig unterkommen und bessere Speisen zu uns nehmen. Kennt ihr eigentlich den Palazzo Strozzi? Er ist noch nicht fertig, aber man kann schon sehen, wie prachtvoll er eines Tages aussehen wird.«
Eleonora setzte sich aufrecht hin. »Ich kenne ihn nicht, aber was du da erzählst, klingt gut. Sehr gut. Willst du damit sagen, dass wir dort einziehen können?«
Giulia lachte. »Was bist du nur für ein weltfremdes Lämmchen!«
Eleonora ballte die Fäuste und sah sich nach einem Gegenstand um, den sie nach Giulia werfen konnte. Sanchia machte sich im Geiste bereit, Wunden zu verarzten, doch dann sagte sie sich, dass es nicht ihre Angelegenheit war, wenn die beiden sich stritten. Sie würden nie damit aufhören, egal wie oft sie versuchte, Frieden zu stiften. Es schien, als wären die zwei dazu verdammt, ständig aneinanderzugeraten.
»Gleich neben der Baustelle ist ein älterer, ziemlich kleiner Palazzo. Jedenfalls wäre es in Venedig einer. Hier nennen sie es einfach ein Stadthaus. Aber es hat gepflegte Wirtschaftsräume und vier saubere Schlaf- und Wohnzimmer.«
»Mit Kaminen?«, fragte Eleonora in demütigem Tonfall. Offenbar sah sie ein, dass es ihr wenig brachte, Giulia ständig gegen sich aufzubringen.
»Jedes Zimmer hat einen eigenen Kamin«, erklärte Giulia. »Ihr könnt einen Schlafraum für euch beide haben, die anderen brauche ich selbst.«
Eleonora wollte auffahren – anscheinend sah sie nicht ein, warum Giulia so viele Zimmer benötigte –, besann sich aber sofort, als
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