Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Bedeutung des Namens entsprechend – in ihrer Ahnenfolge angeblich auf viele berühmte Ärzte zurückblicken konnten. Sanchia, die von keinem geschichtlich herausragenden Medicus der Familie gehört hatte, vermutete eher, dass bei dieser Auslegung vielleicht Wunsch und Wahrheit durcheinandergeraten waren.
Begleitet wurde Giovanni von einem anderen, wesentlich schlichter gekleideten jungen Mann, der mit seinem gedrungenen Körperbau und der gebrochenen, schief zusammengewachsenen Nase auf den ersten Blick nicht sonderlich einnehmend wirkte. Doch der empfindsame Ausdruck in seinen Augen und die Schüchternheit seines Lächelns ließen diesen Eindruck rasch vergessen. Sanchia schaute verstohlen auf seine Hände. Sie waren geformt wie Schaufeln, mit Fingern, die von frischen Rissen und älteren Narben übersät waren. Werkzeuge eines Bildhauers, ganz ohne Frage.
Giovanni stellte ihn vor. »Michelangelo Buonarroti. Ab und zu muss man ihn aus seiner Werkstatt zerren und ihn unter Menschen schleppen, sonst erstickt er eines Tages noch am Marmorstaub. Orsini und die anderen kommen auch gleich, sie schauen nur noch rasch, was der Pöbel auf der Piazza del Duomo anstellt.« Er blickte leutselig in die Runde und winkte den beiden Mädchen, die sich im Türrahmen zum Salon aufgebaut hatten und ihm geziert zulächelten.
Dann fiel sein Blick auf Sanchia, und er warf die Hände in die Höhe. »Ah! Wie schön Ihr wieder seid, Madonna! Dieses herrliche Haar!«
»Wird gleich von einer Haube bedeckt werden«, warf Giulia ein.
Giovanni wandte sich an seinen Begleiter. »Möchte man diese Frau nicht auf der Stelle in Stein hauen oder sie malen?« Er geriet sichtlich ins Schwärmen. »Wisst Ihr, Sanchia, mein Cousin hat ein wundervolles Gemälde, es stammt von Filipepi. Mein Cousin hat sich mehrere von ihm malen lassen, vor ein paar Jahren, als er heiratete, und weil sie ihm so gut gefielen, später gleich noch ein paar mehr. Jenes eine, welches ich meine, heißt Die Geburt der Venus . Es zeigt die schaumgeborene Göttin, wie sie dem Meer entsteigt, aus der Schale einer Muschel. Ich schwöre Euch, Sanchia, Ihr seht genauso aus wie die junge Venus von Filipepi. Ihr blondes Haar umweht ihren Körper, und vor ihrer Scham rafft sie es zusammen, sodass sie nicht unbedeckt dem Auge des Betrachters entgegentreten muss.«
Michelangelo hustete entsetzt, doch Giovanni grinste nur. Er lächelte Giulia galant an. »Der Venus zur Seite steht eine entzückende junge Hora , mit herabrieselndem roten Lockenhaar. Sie hält der Göttin ein besticktes Gewand hin, damit diese sich bekleiden kann. Die Hora sieht ganz genauso aus wie du, meine Hübsche. Dass mir das jetzt erst auffällt!«
Giulia schaute ein wenig gequält drein. Ihr Blick ging unwillkürlich zu dem goldgerahmten Spiegel, der die Wand des Vestibüls verzierte. Dann betrachtete sie grimmig Sanchias formloses wollenes Gewand. »Nun ja, sie geht nicht nackt vors Haus, aber viel besser ist das da nicht, ich sehe es ein. Glaubt mir, ich habe ihr damit in den Ohren gelegen! Sie hätte eines von meinen Kleidern anziehen und uns beim Essen Gesellschaft leisten können, aber sie muss ja unbedingt Zwillinge zur Welt bringen.«
Buonarroti schnappte nach Luft und starrte ungläubig auf Sanchias Bauch.
Die beiden Mädchen kicherten, und auch die Übrigen fielen in die allgemeine Heiterkeit ein. Am lautesten lachte der Künstler selbst. Er mochte unerfahren und ein wenig weltfremd sein, doch er war auf sympathische Weise gutmütig. »Botticelli würde es gefallen, dass man Euch mit seinem Bild vergleicht, aber glaubt mir, Ihr seid viel bezaubernder als seine Venus!«
»Danke«, sagte Sanchia belustigt.
»Wer ist Botticelli?«, fragte eines der Mädchen.
»Das ist der Spitzname von Alessandro Filipepi«, meinte Giovanni gelangweilt. »Das Tönnchen.«
»Ist er so fett?«
Giovanni zog den Bauch ein. »Was heißt schon fett?« Er wechselte das Thema. »Die Vorlage für die Venus war übrigens Simonetta Vespucci, eine Geliebte meines Onkels, sie wurde ziemlich oft gemalt, auch noch nach ihrem Tod. Müsst Ihr wirklich schon fort?«, fragte er dann Sanchia, die bereits dabei war, ihre Haube überzustreifen. »Es ist dunkel und kalt draußen, und der Pöbel macht überall die Straßen unsicher.«
»Ich komme schon zurecht. Es ist nur wenige Straßenecken von hier. Außerdem habe ich Begleitung. Der älteste Sohn der Frau wartet draußen auf mich.«
Sie legte ihren Umhang über die Schultern und
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