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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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hatte. Pasquale sah sein Gesicht zum ersten Mal aus der Nähe. Es war gut geschnitten, aber der Mann war älter, als er vermutet hatte, wahrscheinlich hatte er die fünfzig bereits überschritten. Sein kurz geschnittenes Haar war von Grau durchsetzt. Er trug einen taubenblauen Umhang und darunter ein schlichtes, aber makellos gearbeitetes Wams. Weder Wappenstickereien noch Amtsketten deuteten auf die Herkunft des Besuchers hin.
    »Merkst du eigentlich, dass du am Verhungern bist, mein Freund?«
    Pasquale wollte die Achseln zucken, ließ es dann aber, weil es nur unnütze Energieverschwendung war. Im Liegen hätte es ohnehin dumm ausgesehen. Natürlich wusste er selbst, dass er nicht mehr lange leben würde. Er war vor der Haft schon dünn gewesen, jetzt war er nicht mehr als ein lebendes Skelett. Er bekam täglich Nahrung, wenn man das verschimmelte Brot so bezeichnen wollte. Aß er es, wehrten seine Eingeweide sich mit Krämpfen und sturzartigen Durchfällen. Verzichtete er darauf – was er in der letzten Zeit fast immer getan hatte –, konnte er sich tags darauf vor Schwäche kaum noch aufrichten. Sebastiano hatte eine Weile klaglos das schimmelige Brot gegessen, doch in der zweiten Woche hatten sie ihn zum Strappado geholt. Er war mit ausgerenkten Schultern und graugesichtig vor Schmerzen wieder zurück in die Zelle geworfen worden und in der folgenden Nacht gestorben.
    Anfangs hatte Pasquale überlegt, warum man ihn nicht ebenfalls folterte, um die begehrten Auskünfte aus ihm herauszupressen, doch dann hatte er sich gesagt, dass es vermutlich an seiner Verkrüppelung lag. Man hatte ihn zweimal verhört, und er hatte beide Male geschwiegen.
    Der gut gekleidete Fremde, der immer wieder zu ihm in die Zelle kam, war niemand aus dem Palazzo Ducale, sondern ein Besucher, das war Pasquale bereits nach kurzer Zeit klar gewesen. Er stieß ihn zwar mit dem Stiefel an, damit er aufwachte und zuhörte, aber er wurde nie brutal. Heute war er regelrecht zuvorkommend.
    »Ich habe eine Botschaft für dich«, sagte er. »Die Frauen sind tot, alle drei. Sie haben außerhalb der Lagune Schiffbruch erlitten und sind gleich anschließend von einer Türkenhorde überfallen worden.«
    Pasquale zuckte mit keiner Wimper, obwohl sein Herz raste wie ein durchgehender Gaul. Er spürte instinktiv, dass der Mann die Wahrheit sagte. Stumm drehte er den Kopf zur Wand. Er lag mit dem Gesicht halb in dem fauligen Stroh, das ihm als Lager diente, doch es scherte ihn nicht.
    »Es gibt folglich keinen Grund mehr, warum du hier weiter verrotten solltest. Du könntest deine Freiheit zurückgewinnen.«
    »Wozu?«, fragte Pasquale mit einer Stimme, die wie geborstenes Glas klang.
    Der Fremde schien überrascht. »Ah, stimmt, du hast ja eine der Frauen heiraten wollen. Aber lass dir sagen, mein Freund, die Liebe ist so vergänglich wie der Sommer. Sie endet unweigerlich, indem sie abkühlt, und zwar nach einer Spanne, die weit kürzer ist als das Leben selbst. Die Freiheit ist folglich allemal besser als der Tod.« Nachdenklich fügte er hinzu: »Zu bedenken ist noch, dass die Frauen nicht gefunden wurden, und der stumme Riese auch nicht. Natürlich könnten die Türken sie ins Meer geworfen haben, so wie die Leute aus dem Dorf, die sie ebenfalls umgebracht haben. Aber niemand hat es gesehen. Sie könnten weitergezogen sein, irgendwohin. Es könnte ihnen dort, wo immer sie sind, gut gehen. Vielleicht aber auch nicht. In ganz Italien herrscht Unruhe, wegen des Krieges.«
    »Die Geschichte mit den Türken – Ihr lügt doch.«
    »Ich schwöre bei der Heiligen Jungfrau, dass es die Wahrheit ist.«
    Pasquale richtete sich mühsam auf. Sein Beinstumpf tat höllisch weh, und auch sein vernarbtes Auge stach plötzlich, als hätte jemand ein glühendes Eisen hineingebohrt. Halb betäubt wurde er gewahr, zu welch intensiven Empfindungen sein Geist und sein Körper noch im Stande waren. Seine Gedanken überschlugen sich. »Was wollt Ihr?«
    »Informationen.«
    »Ihr sprecht nicht für Euch selbst.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
    Der Fremde hob die Schultern. »In diesem Augenblick bin ich dein einziger Gesprächspartner.«
    »Wer gibt mir denn die Gewähr, dass ich nicht mit aufgeschlitzter Gurgel ende, sobald ich Euch das erzählt habe, von dem Ihr meint, es könnte Euch nützen?«
    »Vertraut mir einfach«, sagte der Fremde sachlich, eine höflichere Form der Anrede wählend. Er dämpfte seine Stimme, als draußen vor der Zellentür Schritte laut

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