Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
ein waschechter Kardinal. Er hieß Giovanni de’ Medici, und sein Vater war niemand anderer als Lorenzo der Prächtige, der vor zweieinhalb Jahren verstorben war.
»Wenn du mich fragst, hätte Giovanni das Zeug zum Papst«, hatte Giulia Sanchia gleich nach ihrem Einzug in ihr neues Florentiner Domizil anvertraut. »Kann gut sein, dass er es noch wird. Nicht gleich natürlich, er ist ja nicht mal zum Priester geweiht, aber vielleicht in einem Dutzend Jahren. Er besitzt genau das richtige Maß an Frechheit und Dickköpfigkeit, er wäre ein guter Herrscher. Wäre nicht Piero, sondern er der Ältere der beiden Brüder, hätte Florenz einen besseren Statthalter bekommen.«
Sanchia hatte Gerüchte gehört, denen zufolge Giovanni de’ Medici nicht nur den Künsten, sondern auch dem eigenen Geschlecht zugeneigt war, doch Giulia hatte das mit süffisantem Lächeln abgetan. »Was immer man über ihn sagt: Er ist einer der lustigsten Burschen, die ich je kennen gelernt habe. Natürlich widmet er sich auch langweiligen Beschäftigungen, das tun alle Männer. Etwa Angeln und Jagen, der Himmel weiß, was sie immer daran finden. Aber er ist auch für die besseren Seiten des Lebens zu haben. Wenn einer versteht, ein Fest zu feiern, dann Giovanni de’ Medici.« An Eleonoras Adresse hatte sie hinzugefügt: »Er ist übrigens ein starker Esser.«
Eleonora hatte es befriedigt zur Kenntnis genommen und von Giulia eine Einkaufsliste absegnen lassen, die so lang war, dass man sie vom Arno bis zum Dom hätte ausrollen können. Hin und wieder wurde ihr noch schlecht, aber seit ihrem Umzug ging es ihr sehr viel besser.
Auch für Sanchia bedeutete der Ortswechsel eine deutliche Erleichterung. War sie auch zuvor davon überzeugt gewesen, dass nicht die miserablen Lebensumstände, sondern der Verlust von Lorenzo ihr Gemüt in jene eisige Starre versetzt hatten, so musste sie jetzt zugeben, dass ein weiches Bett, eine gepflegte Umgebung und reichhaltiges Essen einen erklecklichen Teil dazu beitrugen, dass sie hin und wieder ein zaghaftes Gefühl von Normalität beschlich. Mit jedem Tag, der verging, spürte sie, dass sie es überstehen würde, so, wie sie auch den Tod ihrer Eltern überwunden hatte. Es war immer noch schlimm, und oft packte die Trauer sie so unvermittelt, dass ihr die Luft wegblieb, wie bei einem harten Hieb in den Magen. Es half ihr, sich in solchen Augenblicken sein Bild in Erinnerung zu rufen. Sein verschmitztes Lächeln oder der Ausdruck in seinem Gesicht, wenn er sich vorbeugte, um sie zu küssen. Der Ton seiner Stimme, wenn er sie liebte und ihr dabei zärtliche Nichtigkeiten ins Ohr raunte.
Wenn sie an all das dachte, wurde ihr Herz wieder weit, und sie konnte atmen, zuerst rasch und abgehackt, dann in gleichmäßigen Zügen. Die Furcht erregende Leere in ihrem Inneren füllte sich in solchen Momenten nach und nach mit Erinnerungen, an denen sie sich festhalten konnte.
Sie fragte sich, ob es ihr weiterhelfen würde, an seinem Grab stehen zu können. Sie hatte die Grabstätte ihrer Eltern auf Murano besucht, wenn möglich mindestens einmal im Jahr. Falls sie dabei überhaupt Frieden gefunden hatte, so war es jedenfalls nicht genug. Die offenen Fragen waren ihr dadurch nicht beantwortet worden, und die schlimmen Erinnerungen waren nach wie vor dieselben.
»Du könntest dich rasch umkleiden.« Giulia riss sie aus ihren Gedanken. »Hinterher kannst du diesen Sack, den du da trägst, gerne wieder anziehen. Es würde reichen, wenn du dich eine halbe Stunde zu uns setzt. Rede mit ihnen, über irgendwas, meinetwegen auch medizinische Sachen. Oder über Mathematik.« Sie dachte kurz nach. »Aber nicht auf Latein, wenn es geht. Dann schläft Giovanni am Ende noch ein.« Ihr Gesicht hellte sich auf. »Er bringt einen Freund mit, einen Künstler. Ein ganz junger Bursche, so alt wie Giovanni. Sein Vater hatte ihn vor ein paar Jahren ins Haus geholt. Er würde dir auch kaum zu nahe treten, da er ein Männerfreund ist. Ein Bildhauer, er ist sehr begabt, sagt Giovanni. Du interessierst dich doch für Kunst, oder?«
»Sonst ja. Aber ich muss leider weg. Eine Frau, die Zwillinge bekommt.«
»Kann die nicht warten?«
»Das wird schwierig«, sagte Sanchia belustigt. »Die Geburt hat nämlich schon begonnen. Ihr Mann war vorhin da und hat Bescheid gegeben, dass es losgegangen ist.«
»Schade. Ich hätte mich gefreut.«
»Ein anderes Mal vielleicht.« Sanchia runzelte die Stirn. »Hoffentlich gibt es keine Störungen bei deiner
Weitere Kostenlose Bücher