Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Gesellschaft. In der Stadt herrscht seit Piero de’ Medicis Rückkehr ein ziemlicher Aufruhr, ich nehme an, das ist dir nicht entgangen.«
»Das betrifft Giovanni nicht.«
»Er ist Pieros Bruder.«
»Trotzdem. Er ist Kardinal und steht somit unter dem Schutz der Kirche.« Giulia sagte es in leichtem Ton, doch die Besorgnis in ihrer Miene war deutlich zu erkennen. »Heute wird gefeiert, wen schert es, was morgen geschieht. Das war schon immer mein Lebensmotto.«
»Hast du wirklich den Zehnerrat Grimani umgebracht?«, platzte Eleonora heraus. Sie stand am Tisch, das scharf geschliffene Messer in der Hand und die Wangen mit tiefer Röte überzogen. Die Frage war ihr sichtlich peinlich, aber ebenso offenkundig war ihr Bedürfnis, endlich mehr über die Umstände zu erfahren, die ihre Gastgeberin ins Gefängnis gebracht hatten. Brennende Neugierde sprach aus ihrem Blick, als sie Giulia über eine Schüssel mit Kastanien hinweg anschaute.
»Selbstverständlich«, sagte Giulia ruhig. »Nun, und was hast du jetzt mit diesem Messer vor?«
»Nichts«, rief Eleonora erschrocken aus. Hastig ließ sie es neben die Schüssel fallen.
Giulia lächelte, und es war schwer zu sagen, ob sie dabei höhnisch oder erleichtert aussah.
Sanchia schluckte und starrte sie an. Am liebsten hätte sie die Frau gepackt und sie durchgeschüttelt, so lange, bis alle dunklen Geheimnisse, die sie in sich barg, hervortraten.
Giulia fuhr sich mit beiden Händen über die mit Perlenschnüren geschmückten Locken. »Ich könnte euch alles genau erzählen, aber glaubt mir, ihr wollt es gar nicht wissen.«
»Wieso denn nicht?«, protestierte Eleonora. »Ich möchte es auf jeden Fall erfahren!« Mit erhobenem Kopf setzte sie hinzu: »Schließlich bin ich auch wegen Mordes verhaftet worden!«
»Aber nicht du hast den Deutschen umgebracht, sondern ich«, warf Sanchia ein.
»Du hast selbst gesagt, dass es keine Absicht war«, widersprach Eleonora. »Aber ich habe absichtlich auf ihn eingestochen, sogar sehr oft!« Sie wandte sich wieder an Giulia. »Du kannst mir ruhig alles über den Tod von Messèr Grimani erzählen, ich bin mit den Abscheulichkeiten einer Bluttat vertraut. Und ich sage es auch nicht weiter!« Sie senkte die Stimme zu einem dramatischen Flüstern. »War es Notwehr?«
Sanchias Blicke wanderten zwischen den beiden Frauen hin und her. Dort stand Eleonora und verging förmlich vor Neugier, alles über die blutigen Machenschaften im Hause Grimani zu erfahren, und ihr gegenüber lehnte Giulia am Türrahmen, kühl und gelassen und alles andere als erpicht darauf, ihre Untaten vor ihnen auszubreiten.
Sanchia wusste genug über Enrico und seinen Vater, um zu ahnen, dass es reichlich Gründe gab, einen von ihnen zu töten, aus welchen Motiven heraus auch immer. Sie glaubte jedoch, Giulia inzwischen gut genug zu kennen, um niedere Beweggründe ausschließen zu können. Davon war sie halbwegs überzeugt, trotz des verlogenen Schauspiels damals vor mehr als drei Jahren anlässlich der Andata, als Giulia vor aller Welt so getan hatte, als sei Lorenzo der Vater ihres Kindes.
Sanchia hatte zwei oder drei Mal den Versuch unternommen, Giulia Einzelheiten über die Gründe ihres damaligen Verhaltens zu entlocken, doch Giulia war stets achselzuckend darüber hinweggegangen. Wenn sie sich überhaupt dazu geäußert hatte, dann mit nichts sagenden Bemerkungen wie Es ist, wie es ist oder Es reicht, wenn ich die Wahrheit kenne .
Inzwischen hatte Sanchia es aufgegeben und sich der Realität gebeugt: Was auch immer die Wahrheit war – niemandem war damit gedient, sie ans Tageslicht zu zerren. Der Mann, den es anging, lebte nicht mehr, und nichts, was sie von Giulia erfahren konnte, würde ihn zurückbringen.
Das Klopfen an der Haustür beendete ihr Gespräch. Giulia ging in die Halle, um den Besuchern aufzumachen. Sanchia folgte ihr, um ihren Beutel und ihre Haube zu holen. Sie wollte so rasch wie möglich aufbrechen.
»Meine Liebe, wir sind pünktlich!« Giovanni de’ Medici stürmte durch die Pforte, ein dicklicher junger Mann mit wehendem Blondhaar und einer prägnanten Unterlippe, von der es allgemein hieß, jeder Medici sei mit diesem spezifischen Familienmerkmal geschlagen. Er trug reichhaltig mit Pelzbesatz verbrämte Gewänder in Rot und Gold, passend zu der kunstvollen Wappenstickerei auf seinem Wams, sechs rote Kugeln auf goldenem Grund, die offizieller Deutung zufolge das Sinnbild von Pillen waren, da die Medici – der
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