Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
seinen wertvollsten Besitz verloren.« Seine Stimme nahm einen bedrückten Tonfall an. »Auch sein Sohn ist bei dem Feuer ums Leben gekommen. Er war erst zwei.«
»Das tut mir leid«, meinte Piero reserviert.
»Der Junge war nur das Kind einer Bediensteten – die übrigens ebenfalls bei dem Brand starb. Aber Francesco hing sehr an der Frau und dem Kind.« Er hob bedauernd die Schultern. »Weitere Zwischenfälle wie den von vorhin müsst Ihr nicht fürchten, Messèr Foscari. Mein Bruder zieht es offenbar vor, zur Ablenkung von seinem Elend zu einer weiteren Ausschweifung aufzubrechen, die vermutlich wieder Tage dauern wird.« Er lachte kurz, aber freudlos, während er auf eine Gondel deutete, die zwischen den Arkaden vor dem Wassertor hervorglitt und sich rasch entfernte. Die Felze war verhängt, und der Gondoliere, ein großer, kräftiger Schwarzer mit einer roten Samtkappe, lenkte das Boot in Windeseile um die nächste Ecke.
Sanchia erkannte die Erleichterung in den Zügen ihres Vaters. Auch sie selbst fühlte sich, als sei mit dem Verschwinden der Gondel eine Bedrohung von ihr gewichen.
»Da ist ja Euer Gehilfe, der strebsame Spiegelmacher. Seid gegrüßt, Messèr Pasquale. Nach allem, was ich bisher von Eurem Werk gesehen habe, weiß ich, dass Ihr mir für meine neue Sàla herrliche Spiegel fertigen werdet.«
Pasquales Wangen färbten sich vor Verlegenheit eine Schattierung dunkler. Er richtete seine spargeldünne Gestalt zu voller Länge auf, zog seine Kappe und verneigte sich linkisch.
Giovanni wandte sich wieder Piero zu. »Während der Maestro persönlich für Fenster sorgen wird, die ohne jede Frage das Aufsehen der ganzen Stadt erregen!« Sich zu Sanchia umdrehend, fügte er hinzu: »Und das muss Eure Tochter sein. Reizend, ganz reizend.«
Sanchia fühlte sich kurz, aber eingehend gemustert. Zaghaft erwiderte sie das Lächeln von Giovanni Caloprini, obwohl das Unbehagen von vorhin immer noch in ihr nachwirkte und sie den Eindruck hatte, dass seine Freundlichkeit ein wenig gezwungen wirkte.
»Maestro, kommt ins Haus. Sonderlich repräsentativ ist es nicht mehr, fürchte ich, aber wir haben einen annehmbaren Bereich abgeteilt und uns da vorübergehend eingerichtet. Es stinkt zwar grässlich überall nach Rauch, aber bis zur Fertigstellung des neuen Hauses werden wir ohnehin die meiste Zeit auf der Terraferma sein. Wir haben ein recht hübsches Anwesen in den Euganeischen Hügeln und wollen nächste Woche schon reisen. Für eine Weile lässt es sich also ertragen.«
»Sollten wir nicht lieber gleich zur Baustelle gehen?«
»Später. Jetzt wird es Zeit, dass Ihr auch meine Frau kennen lernt. Außerdem werdet Ihr durstig und hungrig sein.«
Es gab keinen vernünftigen Grund, diese Einladung auszuschlagen, doch Sanchia spürte den Widerwillen ihres Vaters. Ihr selbst war ähnlich zumute. Das Haus war ihr unheimlich, es wirkte gespenstisch unter seinem Schleier aus Ruß und Zerstörung.
»Ah, da ist mein Sohn! Lorenzo, komm hierher! Ich möchte dich einem der berühmtesten Glaskünstler der Serenissima vorstellen!«
Ein Junge war aus der landseitigen Pforte des Palazzo getreten und näherte sich mit verlegener Miene. Er war fast so groß wie sein Vater, konnte aber höchstens vierzehn oder fünfzehn sein, denn seine Wangen waren noch kindlich glatt und die ersten Spuren von sprießendem Bartflaum kaum vorhanden. Als er sprach, war nicht zu überhören, dass er sich im Stimmbruch befand, ein Umstand, der ihm ganz offensichtlich peinlich war, denn er wurde rot und verfiel nach der Begrüßung in hartnäckiges Schweigen.
Im Gegensatz zu seinem Vater war er alles andere als kostbar gekleidet. Zu den abgeschabten ledernen Beinkleidern trug er ein vielfach geflicktes Leinenhemd, das vielleicht ehedem weiß gewesen sein mochte, aber ganz sicher nicht für ihn geschneidert worden war, und darüber ein Wams, das ihm nicht nur zu groß war, sondern auch zahlreiche Flecken zweifelhafter Herkunft aufwies. Seine Füße steckten statt in gut gearbeiteten Stiefeln oder Schnabelschuhen in schlichten Zòccoli.
Sein Haar war dunkler als das seines Vaters, fast schwarz. Es lockte sich ungebärdig hinter den Ohren und über dem Hemdkragen, und seine Augen leuchteten in dem sonnenverbrannten Gesicht verblüffend blau.
Als er merkte, dass Sanchia ihn musterte, verzog er unwillig den Mund und drehte den Kopf weg. Sie beeilte sich, ebenfalls zur Seite zu schauen. Bianca hatte ihr mehr als einmal eingeschärft, wie
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