Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
verkohlten Textilien. Piero erkannte, dass der Brand hier in der Halle und vermutlich auch in den angrenzenden Lagerräumen Reichtümer von ungeheurem Wert vernichtet haben musste.
Er konnte das Gesicht des Mannes immer noch nicht erkennen, und auch die Stimme schien ihm nicht so, als hätte er sie schon einmal gehört. Dennoch zog er vorsorglich die Kappe und neigte ehrerbietig den Kopf.
»Guten Tag, Domine . Ich bin Piero, der Glasbläser.«
»Der Glasbläser, so so. Habe ich einen Glasbläser erwartet?«
»Wenn ihr Messèr Caloprini seid, dann ja.«
»Caloprini heiße ich wohl, aber deren gibt es viele. Nicht nur meinen Vater, meinen Bruder und einen Sohn, sondern daneben so viele Neffen, Cousins, Großonkel und andere Namensvettern, dass es einem längst das Zählen vergällt hat. Es ist wie mit den Corrers, den Dandolos, den Contarini. Venedig ist voll von uns. Die Serenissima könnte uns nicht ausspeien, und wenn sie noch so oft spucken würde.« Die letzte Bemerkung wurde von einem leisen Rülpsen begleitet, aber auch ohne diesen Laut wusste Piero längst, dass sein Gegenüber ziemlich betrunken war. Sein Herz sank, als er sich klarmachte, dass er den ganzen weiten Weg womöglich vergebens auf sich genommen hatte. Mehr noch: Er hatte Sanchias kindliches Gemüt auf eine Weise belastet, dass er Schläge dafür verdiente. Wenn möglich, mit dem Schüreisen.
Statt diese unerfreulichen Überlegungen fortzuspinnen, rang er sich zu einer Äußerung durch.
»Ich bin mit Giovanni Caloprini verabredet. Er ist der Bauherr der neuen Villa, die hier in der Nachbarschaft entstehen soll.«
»Giovanni. Nun ja. Ich hätte es wissen müssen. Mein werter Bruder Giovanni, so aktiv in Sachen Hausbau und anderen Dingen. Diese Umsicht und bestechende Vernunft zeichnet allein ihn aus, niemanden sonst.« Ein Arm hob sich und wies auf die Kiste mit den vernichteten Folianten. »Ihr müsst wissen, allein der Verlust der Bücher ist eine Tragödie. Es waren unersetzliche Schriften dabei. Ein Grund für jahrelange Betrübnis. Aber Giovanni ist nicht so ein Jammerlappen wie andere. Wenn er weint, dann höchstens wegen des Safrans.« Der Mann lachte kurz. »Nicht, dass er überhaupt je Tränen vergießen würde. Geschweige denn, sich aus Kummer betrinken. Aber er ist ein Mensch und kann sich ärgern. Sogar sehr, wenn er Grund dafür hat. Wusstet Ihr, dass Safran brennt wie Zunder?«
»Nein«, sagte Piero.
»Ich vorher auch nicht. Nun, jetzt wissen wir es. Während ich armer Tropf noch nach dem Feuer unsere Wunden lecke und die kümmerlichen Überreste meiner Habe zusammenklaube, bietet Giovanni bereits ein Konsortium auf und belegt die größte Staatsgaleere für eine neue Handelsfahrt in den Osten. Und er bestellt Baumeister, Zimmerleute, Freskenmaler, Steinmetze und …?«
»Glasbläser«, ergänzte Piero höflich.
»Richtig. Nun, ich bin nicht Giovanni, sondern Francesco. Leider, wie ich vielleicht hinzufügen sollte. Denn der Verstand meines Bruder funktioniert in allen Lebenslagen einwandfrei, im Gegensatz zu dem meinen. Giovanni würde tagsüber kaum etwas Härteres trinken als langweiligen, bis auf die Neige verdünnten Wein.« Ein weiteres Rülpsen ertönte, und der Mann stieg die Stufen zur Wand empor, um die Fackel an sich zu nehmen. Piero erkannte zu seiner Überraschung, dass der Fremde wesentlich jünger war, als er zunächst angenommen hatte, nämlich kaum älter als er selbst. Er war hoch gewachsen und von sehnigem Körperbau. Seine Züge waren scharf und alles andere als verlebt, wenn auch die blutunterlaufenen Augen und die unsichere Haltung, ebenso wie die nuschelnde Aussprache, von einem handfesten Rausch zeugten. Dass dieser schon eine Weile fortdauerte, war an dem wuchernden, etwa fünf Tage alten Bart zu erkennen, desgleichen an der Kleidung, der man ansah, dass sie länger nicht gewechselt worden war.
Francesco Caloprini streckte die Fackel aus und leuchtete in das Boot. »Alsdann, Messères. Willkommen in der Ca’ Caloprini . Was für ein Glück für Giovanni, dass alle folgen, wenn er ruft. Nun ja, Gold verbrennt nicht.«
»Das ist falsch.«
»Wie?«
»Das ist falsch«, wiederholte Sanchia. »Gold verbrennt. Genauer gesagt, es schmilzt, wenn man es erhitzt.«
»Und wer sagt das?«
»Ich.«
Francesco stieg zwei Stufen hinab und ging in die Knie. »Wer ist ich ?«
Die Fackel kam näher, und Sanchia wich ein Stück zurück. »Sanchia Foscari. Ich bin die Tochter des Glasbläsers.«
» Wie heißt
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