Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
vieles hochgespielt, was sich bei näherem Hinsehen als halb so schlimm herausstellt.«
Er konnte immer noch nicht fassen, was hier geschehen war. Sie hatte mit der Tochter des Papstes gebadet! Kaum hatten sie die Tore des Vatikans passiert, schon fand sich in einem unbeobachteten Moment ein Mitglied dieser unheimlichen Familie ein, um seine Frau für eine tödliche Intrige einzuspannen!
»Er wäre nie geflohen, wenn er nicht Angst um sein Leben hätte haben müssen! Das sagt doch schon alles!«
»Er hatte guten Grund, hier das Feld zu räumen«, gab Lorenzo zu. »Giovanni Sforza ist völlig nutzlos für die Borgia geworden, seit seine Familie mit den Franzosen paktiert. Außerdem ist er nur zweite Wahl, ohne wirkliche Macht.«
»Aber er ist doch ein Graf!«
»Er ist ein Bastard.« Als sie aufbrausen wollte, hob er die Hand. »Ich beurteile das nicht abwertend, sondern unter machtpolitischen Aspekten. Er ist ein unehelicher Sohn aus einer Seitenlinie des Hauses Sforza, und er spielt weder an der Adria noch sonst wo in Oberitalien eine bedeutungsvolle Rolle. Als der Papst seine Tochter vor vier Jahren mit ihm vermählte, war der Aufstieg der Borgia noch nicht so weit …«
»Vor vier Jahren?«, fiel Sanchia ihm entsetzt ins Wort. »Da war sie erst dreizehn!«
»Als sie das erste Mal verlobt wurde, war sie elf«, gab Lorenzo lakonisch zurück. »Und dennoch hat es ihr nicht geschadet.«
»Woher willst du das wissen?«
»Man muss sie nur lachen hören.«
»Du hast ja keine Ahnung! Sie mag oft lachen, aber wer weiß schon, ob sie nicht viel öfter weint, wenn sie allein ist! Sie hat mir einiges erzählt. Wusstest du, dass er sie als kleines Mädchen ihrer Mutter weggenommen und sie bei seiner Nichte untergebracht hat, in deren Haus auch gleichzeitig eine junge Geliebte von ihm lebte, die damals gerade fünfzehn war? Und die, nebenbei bemerkt, praktischerweise mit dem Sohn der Nichte verheiratet wurde, damit das Ganze einen seriösen Anstrich bekam? Kannst du dir vorstellen, mit welcher Moral Lucrezia bereits in ihrer frühen Jugend konfrontiert wurde?«
»Ich weiß davon«, bestätigte er. »Giulia Farnese ist nach wie vor seine Mätresse, und er liebt sie sehr. Sie haben eine fünfjährige Tochter.«
»Er ist mehr als vierzig Jahre älter als sie!«
»Meine Güte, er ist immer noch ein Mann, und zwar ein sehr ansehnlicher dazu!«
»Und Lucrezia? Zählen ihre Gefühle überhaupt nichts?«
»Er würde sie nie absichtlich verletzen. Er liebt sie über alles.«
»Aha. Er liebt sie, aber er geht trotzdem über Leichen. Er macht den einen Sohn zum Herzog, den anderen zum Kardinal, und seiner Tochter kauft er einen neuen Ehemann, weil der alte ihm nicht genug Macht verschafft. Will dieser nicht freiwillig weichen, wird er einfach umgebracht!«
»Er wurde nicht umgebracht. Alexander ist skrupellos, aber nicht schlimmer als andere Päpste vor ihm. Sicher wird er die Ehe auflösen, aber er wird sich dazu juristischer Mittel bedienen. Was immer er tut, er will nur das Beste für seine Kinder. Besonders für Lucrezia. Sie hat alles, was sie will, und sie bekommt immer noch mehr dazu. Keine Frau in ganz Rom hat mehr Zofen, Schmuck und Kleidung als sie.«
»Sie ist nicht so! Sie ist nicht das launische, verwöhnte, durchtriebene Geschöpf, als das alle Welt sie hinstellt!«, rief Sanchia wütend aus. »Sie ist ein Opfer! Sie hat ihren Mann gern, und er soll ihr genommen werden!«
»Schrei nicht so, hier haben die Wände Ohren!«
»Ich schreie nicht, ich rede lediglich mit Nachdruck! Außerdem hast du mit dem Streiten angefangen!«
»Ich streite nicht, ich rede überaus sachlich mit dir über ein ernstes Thema.«
»Das Thema ist ernst, aber du bist nicht sachlich, sondern unmenschlich!«
»Schau«, sagte er, sichtlich um Beherrschung bemüht. »Hier sind Intrigen im Gange, die du dir im Traum nicht vorstellen …«
Erneut unterbrach sie ihn. »Stimmt es, was man sagt? Dass der Papst den Herrscher des Hauses Orsini und dessen Sohn vergiften ließ?«
»Es geht das Gerücht, ja. Schließlich hatte er Krieg mit den Orsini. Aber die beiden sind in Neapel in Gefangenschaft gestorben, und der Papst war hier in Rom. Zudem hatten sie genug andere Feinde, etwa die Colonna.«
Sie bebte vor Entrüstung. »Du versuchst tatsächlich, ihn zu entschuldigen! Für alles! Sogar dafür, dass er seine Tochter verschachert wie eine Kuh, und wenn der Bauer, in dessen Stall er sie verfrachtet hat, ihm nicht genug einbringt, wird
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