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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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sich vielleicht noch eine Weile auf seiner Kanzel halten können, aber dann wird er am Strick enden«, sagte Lorenzo. »Die Macht des Papstes wächst von Stunde zu Stunde.« Ernst blickte er sie an. »Du musst es begreifen, meine Taube. Es liegt in seinen Händen, auch der Serenissima gefährlich zu werden. Noch ist Venedig mächtig, aber er wird starke Verbündete finden. Und dann stehen wir allein.«
    Am nächsten Morgen brachen sie zeitig auf, um Eleonora und ihre Familie zu besuchen. Sanchia weigerte sich, im Palast zu frühstücken.
    »Ich esse hier keinen Bissen. Als wir herkamen, habe ich einen Bäckerladen gesehen, da können wir uns Brot kaufen.«
    Als sie aus dem Tor kamen und den großen Platz betraten, wurden ihre Blicke von einer Menschenmenge angezogen, die sich um einen Pferch versammelt hatte.
    Sanchia beschattete ihre Augen gegen die Morgensonne. »Wird hier auf dem Petersplatz etwa Vieh gehalten?«, fragte sie verblüfft.
    In dem hölzernen Gehege, das vor den Stufen zu Sankt Peter aufgebaut war, rasten Stiere herum. Erst beim zweiten Hinsehen wurde sie gewahr, dass die Tiere gehetzt wurden, von einem Mann, der hoch zu Ross hinter ihnen herjagte und mit einer langen Lanze nach ihnen zielte.
    »Ist das eine Art Schauspiel?«, fragte sie ihren Mann.
    Lorenzo nahm ihren Arm. »So könnte man sagen.«
    »Warte, ich will es sehen!«
    Der Reiter stieß mit der Lanze zu und traf einen der Stiere an der Schulter. Das Tier brach in die Knie, richtete sich aber wieder auf. Der Mann kam in einem weiten Bogen zurückgeritten, und als er auf Höhe des verwundeten Stiers ankam, glitt er langsam aus dem Sattel. Er war groß, dunkelhaarig und athletisch gebaut. Seine Kleidung bestand aus eng anliegenden Beinlingen, einem breiten Gürtel und einem offen stehenden weißen Hemd, das seine schwarze Brustbehaarung und die Muskeln an seinem Oberkörper sehen ließ. Seine Züge waren von bezwingender Schönheit und erinnerten Sanchia vage an ein anderes, ihr bereits bekanntes Gesicht, doch sie kam nicht darauf, an welches.
    An seiner Seite trug er ein langes, breites Schwert, und während er auf den Stier zutrat, zog er mit einem Ruck blank.
    Sanchia hielt den Atem an. »Was …«
    »Komm«, sagte Lorenzo.
    Er zog sie weiter, doch sie blickte über die Schulter zurück. Der Stier schnaubte leise, er hatte Schaum vor dem Maul, und das Blut tropfte rot von seiner Schulter auf das mit Sand bestreute Pflaster. Von unten herauf schaute er den Schwertträger unverwandt an, mit den Vorderhufen tänzelnd und scharrend, die Hörner drohend gehoben, ein Sinnbild des Stolzes und der Unbezwingbarkeit.
    Der Mann machte einen Satz nach vorn, hob das Schwert hoch über die Schulter und hieb dem Stier mit einem einzigen machtvollen Streich den Kopf ab.
    Stöhnen und vereinzelte Aufschreie wurden unter den versammelten Zuschauern laut, als der Stier zusammenbrach und Fontänen von Blut aus dem kopflosen Hals schossen. Der Kadaver zuckte noch, während der Mann ihm bereits den Rücken zuwandte und sich elegant vor dem Publikum verneigte, eine Hand auf dem Rücken, die andere mit dem Schwert graziös zur Seite gestreckt. Ein breites Grinsen ließ seine Zähne weiß aufleuchten. Sein Blick fiel auf Sanchia, und als sei ihm ihre Bewunderung besonders wichtig, verneigte er sich erneut in ihre Richtung. Seine Blicke schienen die ihren magisch anzuziehen, und für einen Moment schaute sie direkt in seine dunklen Augen.
    Sanchia schluckte und würgte, und hätte sie im Palast bereits etwas zu sich genommen, hätte sie sich mit Sicherheit übergeben. Widerstandslos ließ sie sich von Lorenzo weiterziehen.
    »Mein Gott, wie entsetzlich«, flüsterte sie. »Wie kann der Papst zulassen, dass vor der heiligsten Kirche der Christenheit so ein blutrünstiges Spektakel aufgeführt wird?«
    »Natürlich aus dem einzigen für ihn triftigen Grund. Der Stiertöter ist sein Sohn, Cesare Borgia.«
    Der Vorfall hatte zur Folge, dass Sanchia immer noch nichts gegessen hatte, als sie kurz darauf in Begleitung Ercoles das Vatikanviertel verließen. Der Appetit war ihr gründlich vergangen.
    Lorenzo wollte ihr einen belebteren Teil der Stadt zeigen. Schweigend wandten sie sich südwärts und tauchten in die Gassen Roms ein, wo es aussah wie in allen größeren Städten. In einem Labyrinth enger Gassen reihten sich Verkaufsstände mit Erzeugnissen aller Art aneinander, und wo dafür kein Platz war, boten umherwandernde Händler unter lautem Geschrei ihre Waren

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