Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
feil. Wasser- und Obstverkäufer, Hersteller von Wundermitteln für eine bessere Potenz oder gegen die Franzosenkrankheit, Kerzenmacher, Kräutersammler und Schuster – für alle möglichen Bedürfnisse des täglichen Lebens gab es die passenden Angebote. Die Häuser waren klein und standen eng beieinander, sodass stellenweise kaum ein Durchkommen war, doch die Menschen focht es nicht an. Es herrschten ein reges Leben und ein Radau, der sich in nichts von dem städtischen Rummel in Venedig oder Florenz unterschied.
Immer noch stumm und unter dem Eindruck des grausamen Schauspiels auf dem Petersplatz stehend, ließ Sanchia sich gemeinsam mit ihrem Mann und Ercole durch die Straßen treiben. Schließlich überquerten sie den Tiber in östlicher Richtung und gingen weiter, bis Lorenzo vor einem gewaltigen Rundbau mit einem prachtvollen Säulenportikus seine Schritte verlangsamte. »Schau, das Pantheon! Keine Kirche der Welt hat so eine riesige Kuppel!« Eifrig wandte er sich zu Sanchia um. »Es gibt Pläne, die Basilika von Sankt Peter abzureißen und durch eine neue zu ersetzen, eine, die gewaltiger sein soll als alles bisher Dagewesene. Selbstverständlich auch größer als ein fast anderthalb Jahrtausende alter Hadrianstempel. Folglich soll die neue Kuppel um jeden Preis mehr Ausdehnung haben als diese hier. Doch bis jetzt konnte kein Baumeister diese Aufgabe meistern. Ein Schöpfergeist wie Brunelleschi hätte es vielleicht zuwege gebracht, doch unsere heutige Zeit muss ihren größten Architekten erst noch hervorbringen! Sieh dir nur dieses Meisterwerk an!«
Sanchia betrachtete nicht den Bau, sondern ihren Mann, und das Leuchten in seinen Augen versöhnte sie nachhaltiger als alle noch so prächtigen Kuppeln. Ohne auf Ercole oder die Passanten Rücksicht zu nehmen, reckte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn zärtlich auf sein Kinn. Sie liebte das prickelnde Gefühl an ihren Lippen. Die Stoppeln stachen in ihre Haut und hinterließen in ihr eine Empfindung, die tröstlich und zugleich unabänderlich schien, fast wie ein Versprechen, dass er für immer bei ihr bleiben würde.
Er legte ihr die Hand in den Nacken und schaute ihr in die Augen, als wüsste er genau, was sie gerade dachte.
Als sie weitergingen, schwiegen sie immer noch, doch diesmal war es ein Schweigen der Eintracht. Die Schrecken des Vatikans hatten für den Augenblick ihre Macht verloren.
Ercole ging seiner Wege, als sie ihr Ziel erreicht hatten. Sie vereinbarten, dass er sie zur Nachmittagsstunde wieder abholte.
Eleonora und Sarpi bewohnten ein schmuckloses, aber solide wirkendes Haus in einer Gasse unweit vom Pantheon. Es war größer als ihr Häuschen in Venedig, aber es war bei weitem kein Palast, und Sanchia fragte sich unwillkürlich, ob Eleonora hierfür tatsächlich unbedingt nach Rom hatte ziehen müssen. Aber dann beantwortete sie ihre Frage sofort selbst: Natürlich war es nötig gewesen, schon wegen Pasquale. Keiner von ihnen allen hätte sonst Frieden finden können.
Sie hörte Herkules’ aufgeregtes Kläffen, als sie sich dem Haus näherten. Gleich darauf wurde die Tür aufgerissen, und Eleonora erschien. Bei Sanchias Anblick brach sie in Tränen aus.
»Endlich! Ich vergehe schon vor Sehnsucht!«
Sanchia fühlte sich in eine Umarmung gerissen, in der sie zu ersticken drohte, und unwillkürlich fing sie ebenfalls an zu weinen. Sie hielten einander umklammert und schluchzten ihren Schmerz über die lange Trennung hinaus, während der Hund bellend um ihre Beine herumsprang und Sarpi und Lorenzo unbehaglich von einem Fuß auf den anderen traten. Sarpi hielt Agostino auf dem Arm, der das tränenreiche Wiedersehen mit verstörten Blicken und zitternder Unterlippe verfolgte und schließlich, als es gar kein Ende nehmen wollte, lautstark in das Heulkonzert einstimmte. Da er die Frauen an Stimmgewalt übertraf, löste Eleonora sich von Sanchia und hörte auf zu weinen. Sie riss den Kleinen aus Sarpis Armen. »Komm her, mein Süßer, und schau, wer gekommen ist! Freust du dich?«
Der Kleine brüllte nur noch lauter, und Eleonora war entsetzt. »Ich verstehe es nicht! Ich habe ihm ständig dein Bild gezeigt! Er kann sogar deinen Namen hersagen, ich habe mit ihm geübt! Agostino, sag Sanchia !« Eifrig wandte sie sich Sanchia zu. »Weißt du noch, wie er dich immer Sa genannt hat? Das ist jetzt anders! Er kann schon ganze Sätze sprechen, mit bis zu fünf Wörtern! Komm, Tino, sag: Sanchia, willkommen in Rom !«
Agostino sagte
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